- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Zur Umweltgeschichte der Firmen Gebr. Borchers & H.C. Starck und der Ahnenerbe-Rüstungsforschung der Waffen-SS in Goslar - Teil 1
Summary
A short environmental history of the companies Gebr. Borchers, founded 1807 in Goslar, and H.C. Starck, founded 1920 in Berlin, is given. Both companies are now based in Goslar, Lower Saxony. For a long period, Gebr. Borchers and H.C. Starck caused severe environmental problems following their intensive arsenic and metal production (toxic emissions, hazardous waste output) and also played an important role in WW II production including certain aspects of R&D in A, B and C weapon technology. Borchers top manager Dr. phil. F. Borchers had contacts to Heinrich Himmler and his SS; H.C. Starck top manager Hermann C. Starck was married to a jewish wife and had difficulties with the Nazis.
Gebr. Borchers und H.C. Starck - Geschichte und Produktion
Gegründet 1920 in Berlin, ist die heute in Goslar ansässige Fa. H.C. Starck GmbH als Hersteller einer breiten Palette von chemischen Spezialprodukten mit ca. 1500 Mitarbeitern Goslars größter Arbeitgeber. Weitaus älter ist jedoch die Geschichte der Gebr. Borchers AG, welche den Standort Goslar begründete; hier eine stichwortartige kurze Firmenchronologie.
1807 - GRüNDUNG DER GEBR. BORCHERS AG: 1807 wurde in Goslar das Familienunternehmen Gebr. Borchers AG gegründet; es beschäftigte sich zunächst primär mit der Raffination von Rammelsberger Vitriolen. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. erlangte das Unternehmen überörtliche Bedeutung, da jetzt mit der Aufarbeitung seltener Nichteisenmetalle wie Wolfram, Kobalt und Nickel aus importierten Erzen begonnen wurde. Während das Wolfram zunächst nur für die Stahlveredlung benötigt wurde, gab es für das Kobalt schon eine lange Tradition in den keramischen Farben (Kobaltblau). Bereits um 1890 produzierten und lieferten die Gebr. Borchers AG Kobaltoxide. Weiterhin war Borchers Spezialist in der Herstellung von Borsäure und Borax. Schon 1901 wurden die Borsäureaktivitäten in ein neues Werk am Bahnhof Oker verlagert; hier entstand später die Hauptproduktionsstätte der Firma. Frühzeitig hatten sich Borchers-Chemiker mit der Löslichkeit der Metalloxide in Leinöl befasst und die Beschleunigung der Trocknung durch die Oxide des Kobalt und Mangan erkannt. Zu Beginn der 20er Jahre wurden Kobalt-Salze wie Karbonat, Azetat und Hydroxid geliefert; eine reguläre Produktion von geschmolzenen Kobalt-, Mangan- und Blei-Resinaten und Oleaten wurde im Zuge des Ausbaus der neuen Fabrik in Oker eingerichtet. Der Umzug nach Oker war nötig geworden, weil die in der Innenstadt von Goslar angesiedelte Firma dort zu große Umweltprobleme verursachte.
PFLANZENSCHUTZ: Weil vor der Entdeckung des DDT Pflanzenschutz wesentlich auf anorganischen Präparaten beruhte, besaß dieser Produktionszweig bei Borchers mit seinen arsenhaltigen Pflanzenschutzmitteln große Bedeutung; Bleiarsenat "Borchers", Arsenstäubemittel "Borchers", Arsenködermittel "Borchers", Räucherbeutel "Borchers", Kupferkalk "Borchers", "Hercynia-Grün" (43% As), "Hercynia-Neutral" (13% As), Gaspatronen "Borchers", Veltox-Giftmehl "Borchers", Goslarit, Rotenoxon, Fungisol "Borchers", Schwefelkalkbrühe "Borchers" u.a.m. waren bekannte Produkte des Hauses. Aber die arsenhaltigen Pflanzenschutzmittel waren sehr giftig. Es war daher eine große Errungenschaft, dass ab 1942 Gesarol mit dem Wirkstoff DDT z.B. gegen den Kartoffelkäfer eingesetzt werden konnte. DDT war 1939 von Prof. Dr. Paul Müller, Mitarbeiter der Firma Geigy in Basel, entdeckt worden. Es ist ein hochinteressantes Stück Kriegsgeschichte, wie dieses neue Spritzmittel DDT mitten im 2. Weltkrieg aus der Schweiz nach Deutschland gelangte!
Da auch die Fa. Borchers mit organischen Insektiziden experimentierte und der Firmenchef der Gebr. Borchers AG, Wehrwirtschaftsführer Dr. Friedrich Borchers (geb. 2.4.1880, gest. 5.10.1957), im Krieg nachweisbar in die Schweiz fuhr (so z.B. Anfang September 1944), sind hier noch offene Fragen zu klären.
Im B.I.O.S.-Report 1480 heißt es: "Gebr. Borchers A.G. (1700 employees prewar) work up cobalt ores with arsenic as by-product. They manufacture arsenicals, winter washes, lime sulphur and other insecticides based on dinitro cresol, diphenylamine and azobenzene. The erection of a DDT plant is contemplated. ... A biological testing laboratory is in operation at Bad Harzburg under the direction of Dr. Gerneck." (BRITISH INTELLIGENCE OBJECTIVES SUB-COMMITTEE 1946a). Erst 1970 wurde der Pflanzenschutz zugunsten der Metallaktivitäten aufgegeben.
KRIEGSPRODUKTION: Goslar wurde nach 1933 aus einer verträumten, von Handwerk, Mittelstand und Fremdenverkehr geprägten mittelalterlichen Stadt zu einem wichtigen Ort der Rüstungsproduktion des Naziregimes. Die Stahlveredelungsprodukte und Arsenverbindungen der Firma Borchers AG/H.C. Starck waren kriegswichtig; beide Betriebe wurden mit staatlichen Mitteln ab 1935/36 ausgebaut, Produktion und Belegschaften mehr als verdoppelt. Neben der Preussag war die Chemische Fabrik Gebr. Borchers AG/H.C. Starck nun Goslars größter Arbeitgeber. 1935 übernahm H.C. Starck von der Hildesheimer Bank die Aktienmehrheit der Gebr. Borchers AG. Die Fa. H.C. Starck war 1920 in Berlin gegründet worden; Hermann C. Starck verfügte als Metall- und Erzhändler über für das Reich so wertvolle Kenntnisse kriegswichtiger Rohstoffe, dass er im 1. Weltkrieg vom Kriegsdienst freigestellt war.
Ein Konsortium aus Krupp AG, Gesellschaft für Metallurgie, I.G. Farben und H.C. Starck/Borchers wurde gegründet, um die Gewinnung einheimischer Rohstoffe für die Stahlveredelung zu forcieren. Dieses sogenannte "Ofensauenkonsortium" hatte die Aufgabe, aus den Rückständen der Verschmelzung des Mansfelder Kupferschiefers Molybdän zu gewinnen, ein technologisch energieintensiver und äußerst umweltschädlicher Prozess. Die Anlagen für diese Produktion wurden ab 1935 in Oker gebaut, geplant übrigens vom bekannten Weimarer Bauhausarchitekten Schulze-Naumburg. Als es ärger mit den Genehmigungsbehörden gab, weil Borchers die Ofensauenabteilung ungenehmigt ausbaute, beschwerte sich die Firma. Der Regierungspräsident Hildesheim schrieb in dieser Sache am 29.4.1940 unter dem Bearbeitungsvermerk "Sofort! Vertraulich!" an den Braunschweigischen Minister des Innern: "Auf Ihre Mitteilung über die Fortführung des Baues ohne Genehmigung habe ich mich zunächst an das Reichswirtschaftsministerium gewandt. Soeben habe ich fernmündlich die bereits erwartete Nachricht erhalten, daß der Ministerrat für die Reichsverteidigung seine Zustimmung zu dem Bau der Ofensauabteilung gegeben habe. Unter diesen Umständen muß ich aus wehrpolitischen Gründen davon absehen, gegen die Fortführung des Baues einzuschreiten."
Ein weiteres Standbein der Produktion war die Arsengewinnung für die Produktion von Schädlingsbekämpfungsmitteln; auf diesem Gebiet war Borchers seit Jahren Marktführer in Deutschland; siehe oben. Diese lange Erfahrung mit Schädlingsbekämpfungsmitteln auf Arsenbasis veranlasste das Regime, die Borchers AG zum Ausbau der Arsengewinnung zu nutzen, doch wahrscheinlich nicht nur zur Verbesserung des Pflanzenschutzes.
TROCKENSTOFFGESCHäFT: Um 1920 begann die Trockenstoffproduktion im Werk Goslar, bevor 1935 H.C. Starck die Gebr. Borchers AG erwarb. Von großer Bedeutung waren die Lizenzvereinbarungen mit dem amerikanischen Unternehmen "Nuodex" zur Nutzung des Know-Hows im Trockenstoff- und Lackhilfsmittelbereich. Neben den Trockenstoffen wurden etwa ab 1960 weitere Lackadditive in das Produktprogramm übernommen und insbesondere auf dem Gebiet der PUR-Verdicker erwarb sich Borchers Kompetenzen. 1971 erfolgte dann die übernahme des Trockenstoffgeschäftes der Hoechst AG und deren Marken Soligen® und Octa-Soligen® sowie im Jahre 1974 der Erwerb des französischen Trockenstoffherstellers Nuodex France, der später in Borchers France umbenannt wurde.
1986 - üBERNAHME DURCH DIE BAYER AG: 1986 erwarb die Leverkusener Bayer AG die Firmen H.C. Starck und Gebr. Borchers. 1994 wurde die gesamte Produktion des Goslarer Borchers-Werkes auf die Borchers France S.A. in Castres, Frankreich, verlagert; das Werk in Goslar wurde geschlossen. Zum 1.1.1995 gingen alle Geschäftsaktivitäten der Gebr. Borchers AG auf die neugegründete Borchers GmbH über und bilden seitdem dort den Kern für die Zusammenfassung aller Marketingaktivitäten des Bayer Konzerns auf dem Gebiet der Additive für die Farben- und Lackherstellung.
1992 - H.C. STARCK ZIEHT NACH GOSLAR: Seit 1992 residiert die Firma mit Hauptsitz in Goslar, wechselte mehrfach die Konzernmutter und ist heute nach eigener Einschätzung ein "global player".
Heutige Produktionsschwerpunkte sind:
- Refraktärmetalle (Wolfram, Molybdän, Tantal, Niob und Rhenium) und deren Verbindungen wie Boride, Carbide, Nitride, Oxide, Silizide und Sulfide
- Verbindungen von Kobalt und Nickel sowie deren Salze
- Vorstoffe für die Hochleistungskeramik
- Legierungspulver und
- Elektrokorund.
Anwendungsgebiete sind u.a. Metallerzeugnisse und -verarbeitung, Optik, Elektrotechnik, Elektronik, Schweißen, thermisches Spritzen, Oberflächenveredlung, Katalysatoren, Farben und Lacke.
Entsorgung und Altlasten
Durch die Art der Produktion und Entsorgung - u.a. durch die frühere Herstellung von Pflanzenschutzmitteln auf Arsenbasis - war die Firma immer wieder Quelle von Umweltproblemen der verschiedensten Art, u.a. durch eine große Zahl von problematischen Altlasten im Raum Goslar.
Bundesweite Beachtung fand der Borchers-Entsorgungsskandal von Abfällen der Lindanproduktion in der stillgelegten Eisenerzgrube Morgenstern nördlich Goslar. Ende der 60er Jahre entzündete sich der dort völlig unsachgemäß über eine Drittfirma gelagerte Chemiemüll und konnte erst nach Wochen gelöscht werden. Die beiden verantwortlichen Inhaber der Entsorgungsfirma begingen in ihrem eigenen Labor Suizid.
Folgende Altlasten, in denen schwerpunktmäßig Industrieabfälle und -schlämme deponiert wurden, haben die Betriebe Borchers und H.C. Starck rund um das Werksgelände hinterlassen (Flächen- und Volumina nach Angaben der Unteren Abfallbehörde des Landkreises Goslar):
- Altlast "Steinfeld/Auf dem Graffen/Mergelgrube Hygrositfabrik Oker"
- Altlast "Bei den Schlacken" am Verbindungsweg Ohlhof-Steinfeld
- Altlast "Alter Steinbruch" Sudmerberg (0,3 ha, 6.000 m3)
- Altlast "Formsandgrube" Bollrich (2 ha, 250.000 m3)
- Altlast "Halberstädter Straße" (10 ha, 300.000 m3)
- Altlast Anschlussstelle K1/B6n westlich Sudmerberg
- Altlasten "Im Steinfeld" (0,5 ha, 15.000 m3)
- Altlast Sauteich (2,25 ha, 112.500 m3)
- Altlast "überdeckte Gelmke"
- Altlast Gut Ohlhof
- Altlast Petersberg
- Altlast Gelmketal
Auch in den alten Hausmülldeponien "Paradiesgrund" (13 ha, 2 Mio. m3), "Am Müllerkamp" (0,7 ha, 14.000 m3) und "Oker" (1 ha, 115.000 m3) finden sich Industrieschlämme aus der Produktion von Borchers/H.C. Starck. Weitere Altablagerungen befinden sich auf dem Werksgelände der Firma.
Die Emissionen einiger dieser Ablagerungen, ggf. verstärkt durch aktuelle Auswirkungen des Chemiebetriebs, finden sich im abströmenden Grundwasser wieder und werden im Tiefen Okerstollen gemessen. Die Beprobung der Wässer und Sedimente wurde bereits von GRID (1993) gefordert, aber erst 2000 begonnen, als der Stollen erneut einbrach und der öffentliche Druck so groß wurde, dass die Behörden und H.C. Starck reagieren mussten.
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