- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Die Bauernhochschule Goslar im Kontext. Neue Forschungen zu einem Täterort in der ehemaligen Reichsbauernstadt Goslar
Neuerscheinung | Spuren Harzer Zeitgeschichte | Papierflieger-Verlag

Peter Lehmann: Spurensuche. Jüdische Familiengeschichten in Wernigerode. - Harz -
Neuerscheinung. Forschungen 36, 194 S., 10 Abb., 170 x 240 mm, Broschur, Lukas Verlag Berlin 2023

Neues Buch erschienen: Hermann von Wissmann und Bad Lauterberg im Harz - eine Spurensuche
Neuerscheinung von Fabiana Kutsche, Dr. Stefan Cramer, Dr. Friedhart Knolle

Die Stadt Bad Harzburg ehrt einen glühenden Antisemiten bis heute mit einer Straße - neues Buch zu Rudolf Huch erschienen
Neuerscheinung: Weber, Markus: Rudolf Huch. Antisemitismus und das kulturelle Gedächtnis der Stadt Bad Harzburg.

Wernher von Brauns Peenemünder Geheimakten im Eisenkuhlenstollen der Grube Georg-Friedrich bei Dörnten am 21. Mai vor 77 Jahren geborgen
Pressemitteilung

Homann, Mark. Jenseits des Mythos - Die Geschichte(n) des Buchenwald-Außenkommandos Wernigerode und seiner "roten Kapos"

Tarnname "Tanne" - eine Harzer Rüstungsaltlast in Clausthal-Zellerfeld und Osterode am Harz
Neuerscheinung, Mai 2020

09.11.2018, Einweihung des sechsten Bad Harzburger Geschichtspunkts am Schalom-Denkmal - gestiftet von Herrn Dirk Junicke.
Artikel und Video zur Einweihung des 6. Bad Harzburger Geschichtspunkts

20 Jahre Spurensuche Harzregion - Feier im Großen Heiligen Kreuz am 5. November 2018
Dokumentation der Rede von Dr. Peter Schyga, Verein Spurensuche

20 Jahre Spurensuche Harzregion - Feier im Großen Heiligen Kreuz am 5. November 2018
Dokumentation der Rede von Frank Heine, Goslarsche Zeitung

Zum Rechtsextremismus der Nachkriegszeit - Nachdenken über Begriffe und ihre historischen Bezüge
Dokumentation des Vortrags von Dr. Peter Schyga am 24.05.2018 im ehem. Standesamt Goslar

Steinsiek, Peter-Michael: Zwangsarbeit in den staatlichen Forsten des heutigen Landes Niedersachsen 1939 - 1945
Neuerscheinung

Zwangsarbeit in Liebenburg: Versuch einer Spurensuche
Präsentation des Vortrags von Dr. Friedhart Knolle in Liebenburg

Dokumentationsort Reichserntedankfest auf dem Bückeberg
Spurensuche Harzregion aus Goslar zur aktuellen Auseinandersetzung um das Projekt. Resolution

Markus Weber: "Das ist Deutschland und es gehört uns allen" Juden zwischen Akzeptanz und Verfolgung im Kurort Bad Harzburg
Buch, Sommer 2016

Peter Schyga: Goslar 1945 - 1953. Hoffnung - Realitäten - Beharrung.
Neuerscheinung

Dr. Peter Schyga. Über die Volksgemeinschaft der Deutschen
Neuerscheinung. Begriff und historische Wirklichkeit jenseits historiografischer Gegenwartsmoden

Dokumentation: Veranstaltung - Displaced Persons, Flüchtlinge und Vertrieben nach 1945
Vortrag und Präsentation der Veranstaltung vom 21. Januar 2016 in Jürgenohl

Publikationen zur Zeitgeschichte - insbesondere NS-Zeit und ihren Nachwirkungen
Forschungskonzept

Historisches Forschungsprojekt:
Goslar in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1953)

Forschungskonzept

Historisches Forschungsprojekt:
Goslar in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1953)

Konzept

Auschwitz und die Nachkriegszeit: Das Beschweigen und die Integration des IG-Farben Funktionärs aus Monowitz H. Schneider in die Stadtgesellschaft Goslars
Vortrag

UNSER HARZ: Gedenkstätte "Russenfriedhof" am Massengrab der Sprengstoff-Fabrik Tanne in Clausthal-Zellerfeld
Pressemitteilung zur Ausgabe Januar 2014

Dr. Peter Schyga. NS-Macht und evangelische Kirche in Bad Harzburg
Neuerscheinung.

Peter Lehmann: geachtet - geleugnet - geehrt. Oberst Gustav Petri, Retter von Wernigerode
Neuerscheinung. Pressemitteilung.

Frank Baranowski. Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 - 1945
Neuerscheinung. Rezension

Nachreichung: Goslar und die Harzburger Front - die Radikalisierung des Bürgertums.
Vortrag im Rahmen der Ausstellungspräsentation am 26.4.2012 im Kreishaus Goslar

Nachreichung: Im Gleichschritt zur Diktatur? Der "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten" in der Harzburger Front1
Vortrag

Nachreichung: Zur Einführung in die Ausstellungspräsentation am 24.4.2012 im Kreishaus Goslar
Rede

NS-Geschichte der Goslarer Fa. H.C. Starck aufgearbeitet - Bd. 5 "Spuren Harzer Zeitgeschichte"
Presseinformation

Austellung zur Harzburger Front in Wolfenbüttel
Vortragsmanuskript: Die Formierung des "Rechtsextremismus der Mitte"

Austellung zur Harzburger Front in Wolfenbüttel
Vortragsmanuskript: Frieden undenkbar?

Politisches Frühjahr 1933: Terror und Gewalt - Begeisterung und Jubel
Vortrag von Dr. Peter Schyga

Nachreichung: Rede von Peter Schyga während der Ausstellungseröffnung zur Harzburger Front in Wernigerode
Redeprotokoll

Auf den Spuren der NS-Kriegswirtschaft im Harz
Artikel zum Thema in "Der Zeppelin" erschienen

"Festung Harz - Die extreme Rechte im Landkreis Goslar und der niedersächsischen Harzregion"
Vortragsveranstaltung am Freitag, den 27. August um 19:00 Uhr, in der Jugendherberge Goslar, Rammelsberger Straße 25, Raum Rammelsberg

"Geschichte und Geschichten aus Hahndorf am Harz, Band 1"
Neue Chronik von Hahndorf erschienen

Erntedank und "Blut und Boden" - Bückeberg/Hameln und Goslar 1933 bis 1938
Dokumentation des Symposiums

Der Reichsnährstand in der Reichsbauernstadt - Eine symbiotische Beziehung?
Redebeitrag von Dr. Peter Schyga auf dem Symposium "Erntedank und Blut und Boden"

Wie die Nazis die Bauern betrogen
Redebeitrag von Helmut Liersch auf dem Symposium "Erntedank und Blut und Boden"

Das Erntedankfest als Einfallstor für die religiöse Üœberhöhung des "Führers"
Redebeitrag von Helmut Liersch auf dem Symposium "Erntedank und Blut und Boden"

Erntedank und "Blut und Boden" - Bückeberg/Hameln und Goslar 1933 bis 1938
Ausstellungskatalog - Neuerscheinung

Vorstellung der neuen Broschüre "NS-Zwangsarbeit in Seesen am Harz - ein fehlendes Kapitel Stadtgeschichte"
08.12.2009, 12:00Uhr, Bürgerhaus Seesen

Pressemitteilung
Dokumentation zur Harzburger Front aufgrund der großen Nachfrage in Neuauflage erschienen

Neuerscheinung: "Du sollst keinen Gott haben neben mir"
Neuerscheinung - Buchveröffentlichung am 09. Oktober 2009 in der Marktkirche

Katalog zur Ausstellung "Harzburger Front - Im Gleichschritt in die Diktatur"
Neuerscheinung - Ausstellungskatalog

Ein mahnendes Zeitdokument in Bildern
Neuerscheinung - NS-Zeit in Herzberg

Ausstellung Harzburger Front
Ausstellungsflyer zum Download

Beitrag in - Der Harly - Von Wöltingerode zum Muschelkalkkamm
Artikel über den Harly in der NS-ZEit

Neue Broschüre: Arbeiten für Groß-Deutschland - Zwangsarbeit in Bad Lauterberg
Pressemitteilung

Von der Ausgrenzung zur Vernichtung - Leben und Leiden Goslarer Juden 1933 - 1945
Ausstellung in der Marktkirche Goslar vom 09. - 26. Nov

Neuerscheinung - Zwangsarbeit bei Gebr. Borchers/H.C. Starck - "Briefe meines Vaters 1943 - 1945"
Im Februar 1943 wurde Max Dalkowski bei einer Straßenrazzia in Warschau festgenommen...

Spuren Harzer Zeitgeschichte Heft 2
Spurensuche Goslar e.V. (Hrsg.): Harzburger Front von 1931 - Fanal zur Zerstörung einer demokratischen Republik.

Spuren Harzer Zeitgeschichte Heft 1
Spurensuche Goslar e.V. (Hrsg.): Die Reichspogromnacht am 09./10. Nov 1938 in Goslar.

Holocaust-Gedenktag 2007
Dokumentation der Veranstaltung in Langelsheim

Die NS-Rüstungsaltlast "Werk Tanne"
Sprengstoffproduktion im Harz

Rundgang durch die "Reichsbauernstadt"
Stätten der NS-Herrschaft in Goslar

NS-Zwangsarbeitslager im Westharzgebiet - ein verdrängtes Stück Industrie- und Heimatgeschichte- Teil 2
Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit in Deutschland und im Harz

NS-Zwangsarbeitslager im Westharzgebiet - ein verdrängtes Stück Industrie- und Heimatgeschichte- Teil 1
Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit in Deutschland und im Harz

Buchbesprechung - Dr. Peter Schyga: Goslar 1918 - 1945
Von der nationalen Stadt zur Reichsbauernstadt des Nationalsozialismus - Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Quellen und Literaturverzeichnis
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Teil 6
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Teil 5
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Teil 4
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Teil 3
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Teil 2
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Anhang - Teil 1
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 11
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 10
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 9
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 8
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 7
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 6
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 5
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 4
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 3
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 2
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Arbeiten für Großdeutschland - Teil 1
Zwangsarbeit in Bad Lauterberg

Von Dora bis zum Bahnhof Oker - Teil 3
Eine Spurensuche auf der Route der Todesmärsche der Südharzer KZ-Häftlinge vom Apr 1945 im Westharz

Von Dora bis zum Bahnhof Oker - Teil 2
Eine Spurensuche auf der Route der Todesmärsche der Südharzer KZ-Häftlinge vom Apr 1945 im Westharz

Von Dora bis zum Bahnhof Oker - Teil 1
Eine Spurensuche auf der Route der Todesmärsche der Südharzer KZ-Häftlinge vom Apr 1945 im Westharz

1944/45: Der Bau der Helmetalbahn
Sklavenarbeit mitten in unserer Heimat

Die verdrängte Vergangenheit
Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in Nordthüringen, 65 Abb., 15-seitiger Dokumentenabdruck

Erinnerungsstätten an Unmenschlichkeiten des Nationalsozialismus im Landkreis Goslar
Verein Spurensuche Goslar e.V., Wolfgang Janz, Erinnerungsstätten an Unmenschlichkeiten des Nationalsozialismus im Landkreis Goslar, Goslar 2003

Spurensuche Goslar in der Bundestagsdebatte
Deutscher Bundestag, 114. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000

"Gebt uns unsere Würde wieder" - Die Briefe
Kriegsproduktion und Zwangsarbeit in Goslar 1939 - 1945

"Gebt uns unsere Würde wieder"
Kriegsproduktion und Zwangsarbeit in Goslar 1939 - 1945

Von "Dora" bis zum Bahnhof Oker
Das Wegzeichenprojekt Westharz und der Marsch des Lebens

Politisches Frühjahr 1933: Terror und Gewalt - Begeisterung und Jubel

Am So. 27. März 2011 gedachte die SPD Vienenburg und das "Vienenburger Bündnis gegen Rechts" der Verfolgung und Marterung von zahlreichen BürgerInnen des Ortes durch Nationalsozialisten am 27.03.1933. Peter Schyga wurde zu einem anschließenden Vortrag eingeladen. Auf Wunsch der anwesenden ZuhörerInnen und DiskutantInnen veröffentlichen wir seinen Beitrag an dieser Stelle.

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Peter Schyga:
Politisches Frühjahr 1933: Terror und Gewalt - Begeisterung und Jubel1

Sie haben heute wie jedes Jahr am 27. März an die Opfer der ersten Terrorakte hier am Ort nach Installation des NS-Regimes am 30. Januar 1933 erinnert. Der Gedenkstein in der Heilerstraße hält diese Taten und ihre Opfer im Gedächtnis. Das ehrt Sie und diese Stadt. Solch gedenkendes Erinnern ist keineswegs überall selbstverständlich. Zwar ist im Frühjahr 1933 ähnliches an nahezu jedem Ort des damaligen Deutschen Reichs geschehen ist, doch mir jedenfalls ist in der näheren Umgebung kein solcher Gedenkort bekannt. Oft wird im Lokalen so getan, als sei das Dritte Reich einfach so über die Deutschen gekommen, als habe es keine Akteure, keine Täter, keine Beifallsbekunder und Zuschauer gegeben, als sei zudem die Machtübergabe an Hitlerziemlich reibungslos und prinzipiell friedlich - es habe ja irgendwie doch dieRichtigen getroffen - vor sich gegangen, als sei nicht viel Blut geflossen, als hätte es keine Beleidigungen, Demütigungen Verfolgungen von Nachbar zu Nachbar gegeben. Der Bericht des SA-Sturms 39 Vienenburg vom November 1934 über die Gewalttaten gegen örtliche Demokraten am 27. März 1933 handelt davon, dass "(wir durch) Mut und Einsatzbereitschaft ... in den Tagen der Revolution im März allein über 50 Verhaftungen in unserem Dorf durchgeführt haben. Dieser Kampf (sei) äußerst schwer gewesen, da wir Zweidrittel der Dorfbewohner als Kommunisten, Sozialdemokraten und auch Deutschnationale als Gegner hatten."2

Nun - feiges und erbärmliches Tun als heroische Tat darzustellen und dabei gegenüber den Vorgesetzten und der Nachwelt zu übertreiben, gehörte zu einer Eigenschaft der Angehörigen von NSDAP, SA und SS. Und dennoch äußert sich im Verbrechen und dem Reden darüber der Kern dieser Bewegung: Der feige, charakterlose, im tiefsten Innern unterwürfige deutsche Untertan hatte sich in gewalttätigem Ausbruch Macht verschafft. Der lustvoll-sadistische Hitlerknecht tobte sich an wehrlosen Menschen, seinen Nachbarn und Arbeitskollegen aus, stellte sie einem mittelalterlichen Brauch gleich an den Pranger, um dann in staatstragender legalistischer Pose zu behaupten: "Nachdem sind sie abgeführt und dem Richter überbracht" worden. Und:- Beifall ist ihm gewiss gewesen. Solche Verfolgungsszenen mit öffentlichen Spießrutenläufen können überall zu dieser Zeit beobachtet werden. In Braunschweig diente das "Volksfreundehaus" der AOK, ein öffentlicher Ort der Soziademokratie, als Folterkeller; in Goslar trieben die Nazis den SPD-Senator Söffge und den jüdischen Mitbürger Hochberg auf einem Fleischerkarren durch die Stadt.3 Es gab johlende Zuschauer, einige waren verschämt, kaum einer empörte sich oder griff ein. Der Historiker Michael Wildt hat viele solcher Fälle der "Selbstermächtigung" der NS-Volksgemeinschaft beschrieben.4 Da brauchte es keinen Befehl von oben, das machten die Volksgenossen und -genossinnen ganz von sich aus, genauso wie sie Geschäfte von Juden beschmierten, Sozialdemokraten, Demokraten und Kommunisten peinigten.

Was NS-Aktivisten mit den Menschen, die sie zu Feinden deklarierten, anstellten, wissen wir oft, wenn nicht, müssen wir es erforschen. Wie es dazu kommen konnte, darüber wurde oft und lange der Mantel des Schweigens und des Nicht-Nachdenkens gebreitet.

Ich will heute einige Worte zu dem Wie sagen. Dabei kann ich nicht in die lokalen historischen Details gehen - die kenne ich leider nicht und konnte sie mir auch nicht für diesen Vortrag heute aneignen. Dazu bedarf es schon gewissenhafter Forschung, die Zeit und materielle Ressourcen benötigt. Ich möchte also auf die allgemeine politische Lage in der Region eingehen, beschreiben und erklären, was sich hier ereignet hat und insbesondere die Triebkräfte der NS-Bewegung und ihrer Unterstützer beleuchten. Irrtümer und Fehler der damaligen demokratisch-republikanischen Zeitgenossen sollen in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden. Und nicht nur, weil diese Veranstaltung vom "Vienenburger Bündnis gegen Rechts" organisiert wird, sondern weil es uns alle angehen sollte, kann sich dieser oder jene Hinweis auf bestimmte Parallelen zwischen Heute und Gestern ergeben, der ernst genommen werden sollte: Es geht nämlich Gestern wie Heute um den "Rechtsextremismus der Mitte" - ich komme darauf zurück.

Am 12. Mai 1930 gab es wohl es die erste Versammlung der NSDAP hier am Ort: "Arbeiter der Stirn und der Faust! Reichstagsabgeordneter Wagner spricht heute, Montag, 12. Mai, abends 8 Uhr im Kaisersaal zu dem Thema "Untergang oder deutsche Revolution" Eintritt 50 Pf. (Erwerbslose und Rentner nur 20 Pf.) - Juden haben keinen Zutritt! - Freie Aussprache".5 Ich vermute, der hier genannte Wagner war der seit 1925 amtierende NSDAP- Gauleiter-Baden Robert Wagner, der eigentlich Backfisch hieß, aber den Mädchennahmen seiner Mutter angenommen hatte, weil Backfisch für einen NS- Kämpfer der ersten Stunde ziemlich unpassend klang. Er war schon 1923 beim Putschversuch von Hitler-Ludendorff in München dabei, einer der ersten und treuesten Gefährten seines Führers und eifriger Wanderwahlkämpfer in deutschen Landen. In der Region Hannover-Braunschweig war er besonders eifrig unterwegs, wie ich aus meinen Forschungen über die Region weiß.

Sie müssen sich die NSDAP der Jahre bis 1928 als straff geführte Kaderorganisation vorstellen, deren Ortsgruppen personell schwach aufgestellt waren. Wanderagitatoren reisten durchs Land, die zunehmend Aufmerksamkeit erfuhren. In der Landkreishauptstadt Goslar etwa fand die erste größere NSDAP-Veranstaltung am 28. September 1925 im Kaisersaal statt. Die dortige Ortsgruppe von etwa 20 Leuten war für den ganzen Landkreis zuständig und baute Zellen in den Ortschaften auf. Ihre Mitglieder agitierten rührig, vertrieben das NS-Propagandamaterial, waren auch oft in den bürgerlichen Wahlvereinen, die die lokale Politik bestimmten, tätig. Als politische Sekte würde man diese Partei heute bezeichnen. Sie konnte auf Zustimmung stoßen und erfolgreich sein, weil sie alle Vorurteile, Ressentiments, Ängste, abstrusen Verschwörungstheorien der damaligen Zeit begierig aufsaugte und sie Bilder einer heilen Zukunft des volksgemeinschaftlichen Deutschtums, die im rechtsnationalistischen, völkischen und antisemitischen Lager schmorten, auf wenige Schlagworte reduzierten. Sie lieferten ein simples und eingängiges Weltbild:
Die NSDAP wirkte durch ihre damals moderne Propagandaarbeit, durch ihre Mobilität und ihre permanente Präsenz auf der Straße als Zeichen von Beweglichkeit in vermeintlich starren Strukturen eines sich selbst blockierenden politischen Systems. So konnte sie in einigen Teilen des Reichs Bastionen errichten, von denen sie sich ausbreitete. Das naheliegende sozialdemokratisch regierte Braunschweig war so eine Bastion, auch die Kreisstadt Goslar, wo die Partei zu den Reichstagswahlen im Mai 1924 6,5 % der Stimmen erreicht hatte, bei den Wahlen 1928 9,6 %. Im Reichsdurchschnitt dümpelte die NSDAP bei 2 - den Kommunalwahlen im November 1929 schon auf 25,2 % kam und bei den Reisttagswahlen 1930 28,4 % der Stimmen auf sich vereinte - alles Ergebnisse über dem Durchschnitt des Reichs.

Als die Vienenburger Ergebnisse der Reichstagswahlen vom 14. September 1930 feststanden, mag bei vielen Republikanern Verwunderung, Erstaunen, Entsetzen groß gewesen sein: Die NSDAP hatte 589 Stimmen erzielt, das entsprach einem Anteil von 22,8 %. Sie hatte ihre Stimmenzahl gegenüber der letzten Wahl vom 20. Mai 1928 (8,2 %) mehr als verdreifacht. Die Weimarer Linke kam zusammen auf 931 Stimmen, davon entfielen auf die SPD 740 (= 28,6 %) und die KPD 231 (= 11 %) Noch zwei Jahre zuvor war die SPD mit 40,3 % bei weitem stärkste Partei gewesen. Rechnet man die Stimmen der KPD hinzu, kamen beide linke Parteien auf 51,8 Prozent. Rechnet man für 1928 das republikanische Lager der wechselnden Weimarer Koalitionen, also SPD, Zentrum, DVP und Wirtschaftspartei zusammen, kommt man auf 75,9 %. Dieses Weimarer Lager schaffte es 1930 auf gerade mal 53,4 %, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Wirtschaftspartei ihren demokratischen Anstrich gerade ablegte. Die NSDAP konnte vor allem von Wahlberechtigten aus den Reihen der Nichtwähler profitieren ebenso wie zwei Jahre später am 31.7.1932, als sie 1414 Stimmen von 2931 abgegeben erhielt. Das entsprach 48 %. Die SPD kam auf 21 Prozent, die KPD auf 12 %, das Zentrum auf 13 %. Dies Ergebnis der Sozialdemokraten entsprach fast dem Reichsdurchschnitt, die Gewinne der Nationalsozialisten waren hier deutlich höher (Reich 37,3 %). Im Vergleich zu den Ergebnissen des Landkreises Goslar, der sich in Bevölkerungs- und Erwerbsstruktur kaum von den Ortschaften Vienenburgs unterschied, schnitten beide Parteien überdurchschnittlich nach unten (SPD) bzw. nach oben (NSDAP) ab.

Feststellen können wir, dass die NSDAP sowohl von den rechtsnationalistischen bürgerlichen Kräften Stimmen auf ihre Seite ziehen konnten, als auch wahlabstinente Bürgerinnen und Bürger für sich mobilisieren konnte. Binnen vier Jahren erhöhte sich ihre Unterstützung von 180 Menschen auf 1414 bei einer Zunahme der Wählerinnen und Wähler von 2190 auf 2931 (1932). 1928 etwa hatten die Sozialdemokraten noch 883 Wahlunterstützer 1932 waren es bei wie gesagt steigender Wählerzahl nur noch 637, fast ein Drittel weniger.6

Ich will Sie nun wirklich nicht länger mit Zahlenmaterial quälen, doch mir kam es darauf an zu zeigen, in welcher Dynamik die NSDAP republikanische Stellungen überrollen konnte. Ich habe keine Grundlage zu beurteilen, wie der rasante und überproportionale Aufstieg der NSDAP hier zu erklären ist. Vielleicht hat die Harly- Katastrophe vom 8. Mai 1930, in dessen Verlauf viele Arbeiter im Bergwerk, in den weiterverarbeitenden Gewerken und den abhängigen Handwerksbetrieben arbeitslos wurden und mit der damit verbundenen Armut manche Händler in die Pleite begleiteten, damit zu tun - aber das ist jetzt Spekulation. Gewiss kann man bei gründlicher Recherche Genaues herausbekommen. Heute steht die Annäherung an die Antwort auf die Frage nach dem Warum überhaupt im Vordergrund. Dazu ist der Blick aufs allgemeine Geschehen im Reich nützlich. Die Gesellschaft war in rasanter Veränderung begriffen, die sozialen Verhältnisse wandelten sich im Vergleich zu der erst wenige Zeit zurückliegenden Kaiserzeit dramatisch. Die kurzen Zeiträume muss man sich immer vor Augen halten. Leute, die 1930 im besten Alter - wie man so sagt - waren, hatten die Kaiserzeit bewusst miterlebt, den Krieg, die Revolutionen, die Bürgerkriegszustände und die Inflationskrise 1923. Die relativ jungen Aktivisten der 1930er-NSDAP waren zu Kriegsausbruch Jugendliche, die Kriegerfantasien entwickelten, weil sie nicht mitkämpfen durften und diese dann bei der Lektüre von Ernst Jüngers "Stahlgewittern", beim paramilitärischen Gehabe im Stahlhelm und der SA weiterlebten. Der Anführer der Gau-HJ, Hartmann Lauterbacher, späterer Gauleiter von Süd-Hannover-Braunschweig (ab 1941/42) war 1909 geboren. Ihre Oberanführer waren auch noch jung, Hitler (1889 geboren) gerade mal vierzig Jahre alt, Goebbels (1897 geboren) knapp über 30. Sie alle gehörten zu dem großen Kreis derjenigen, die sich nicht nie mit der Republik anfreunden konnten, denen gesellschaftliche Offenheit, demokratisches Leben und die fortschreitende Emanzipation der Arbeiterbewegung ein graus war. Politisch war das eingetreten, was der große Geschichtsschreiber und kritische Zeitgenosse Arthur Rosenberg7 in seinem Buch Die Geschichte der Weimarer Republik beschrieb:

"In den Jahren 1924 bis 1928 haben die deutschen Mittelklassen, ebenso die Angestellten und Beamten, die den bürgerlichen Parteien angehörten, sich im Allgemeinen die Republik gefallen lassen. Sie hatten nichts gegen die Weimarer Republik, solange in Deutschland unter dieser Staatsform Ruhe und Frieden herrschten und man einigermaßen den Lebensunterhalt verdienen konnte. ... Bei jeder ernsten Krise waren sie bereit, der demokratischen Republik den Rücken zu kehren."8 Die damalige Sozialwissenschaft war diesem Prozess insofern auf der Spur, als sie die gesellschaftlichen Veränderungen erforschte und die aus ihnen entwachsenen neuen Mentalitäten analysierte. Der Soziologe Theodor Geiger etwa, 1930 vom sozialdemokratischen Bildungsminister des Freistaats Braunschweig Hans Sievers an die TH Braunschweig berufen, sprach in seiner 1930 vorgenommenen Analyse des "alten" und "neuen Mittelstandes" von beiden Teilen als dem "gesegneten Boden ideologischer Verwirrung", der sich aus der drohenden Absiegserfahrung von der Mitte in die Armut speiste. Er unterschied: "Oberschicht (Kapitalisten) 0.92 %". Die "Mittelschicht" unterteilte er in "alter Mittelstand 17,77 % und neuer Mittelstand 17,95 %" das Kleinbürgertum nannte er "Proletaroide 12,65 % und die Unterschicht, das Proletariat (macht) 50,71% aus".9 Die Mittelschicht umfasste also etwa die Hälfte der Bevölkerung. In seinem "soziographischem Versuch", wie er seine Studie nannte, versuchte er also, die sozialen Schichtungen differenzierter zu betrachten und ihre typischen Mentalitäten zu erfassen.

Er erkannte, dass "die falsche Scham über den Abstieg sich oft genug in Hass und Verachtung äußert"10, denn wie ein anderer berühmter Soziologe, Georg Simmel, schon 1908 erkannt hatte: "Der Mittelstand allein hat eine obere und unter Grenze, und zwar derart, dass er fortwährend sowohl von dem oberen wie von dem unteren Stand Individuen aufnimmt und an beide solche abgibt."11 Er hofft auf den Aufstieg und fühlt sich ständig vom Abstieg bedroht. Die Mittelschicht wurde die Stütze der NS-Bewegung. 1927/28 waren die Angehörigen dieser Schicht noch weitgehend an spezielle Verbände gebunden, die ihre Teilinteressen vertreten sollten. Nur wenige wählten die Sozialdemokratie, manche übten politische Enthaltsamkeit. Bei Reichstagswahlen hielten sie sich DNVP, DVP oder DDP. Zu den Kommunalwahlen banden sie sich an Verbände für Spezialinteressen, die in vielen anderen Orten des Reichs in der Zeit von etwa 1924 bis 1930: Wirtschaftliche Einheitsliste, Partei der Haus- und Grundbesitzer, Bürgerrechte Partei etc. hießen. Auch hier bin ich, was Vienenburg betrifft, überfragt. Diese Mittelschicht war ökonomisch eine ziemlich diffuse soziologische Kategorie.

Der Universitätsprofessor, Schullehrer, Beamte, Redakteur oder Pfarrer zählte zu diesem Kreis ebenso wie der kleine Gewerbetreibende, Händler und Handwerker, der Handlungsgehilfe oder der auf Aufstieg geeichte gewerkschaftlich oder nicht organisierte Arbeiter - auch, und das soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, so manche Gewerkschaftsbeamter. Die spezifischen normativen und ordnungspolitischen Vorstellungen der Mitte über die Gesellschaft und von sich selbst sind eng an das Bestehende gebunden - wenn dies in ihren Augen funktioniert.

Ihre Glieder ordnen sich neben die Hauptklassen - und die waren damals noch sehr ausgeprägt, weit weniger aufgefächert als heute - als statusgläubige Träger von Ruhe, Ordnung und Ausgleich ein. Sie begreifen sich als Garanten von tradierten, in hergebrachten Familienstrukturen verankerten Normen. Sie haben mit Klassenkampf und Parteienstreit nichts zu tun - allerdings nur solange als etwa Abstiegserfahrungen Einzelschicksale bleiben, zumindest als solche wahrgenommen werden, solange - und das ist sozialpsychologisch zwar ein verstörender aber zentraler Befund - solange die Vorstellung oder die Angst vor dem Abstieg nicht um sich greift. Nicht tatsächliche Not, sondern die Angst davor beflügelt diffuse Fantasien von Schuldigen und Feindbildern.

Im Kaiserreich, obwohl objektiv nur Untertanen, hielten sich diese Kreise selbstbewusst für den wertvollsten Bestandteil der Gesellschaft. Die Emanzipation der Arbeiterbewegung nahmen sie als Gefahr wahr, ihr Gefühl von Sicherheit und Zuversicht schrumpfte. Als in der Wirtschaftskrise 1929/30 der Abstieg manifest drohte, lösten sich die lockeren Bande zur bestehenden Ordnung auf. Man ließ sich die Republik nicht mehr "gefallen". Man war gegen sie und wusste nicht so richtig, wohin mit seiner Angst und Wut. Als dann ein Angebot auf dem politischen Markt Erlösung versprach, gab es kein Halten mehr. Mit Hitler bot sich nun die visionäre Chance, aus der Vereinzelung in eine Masse einzutauchen, deren Führer nicht nur Bestandsschutz, sondern die Illusion von Herrschaft versprach, Herrschaft auch über das so verachtete Proletariat. Sie hatten 1933 den Sieg errungen, nun wollten sie den politischen Gegner so vernichten, dass er sich nicht mehr erheben konnte.

Warum verachteten diese eigentlich ökonomisch desolaten Kräfte die "Proletaroiden", wie Geiger sie nannte, und die nach Aufstieg schielenden Mittelschichten der dreißiger Jahre die Arbeiterbewegung so sehr, dass sie auch als Individuen, als Nachbarn, Vereinskollegen mit solch fanatischem Hass gegen sie vorgingen? Schlosser, Arbeiter, Bergleute waren die Zielscheibe des SA-Kesseltreibens am 27. März 1933.Vordergründig haben gewiss die Gegenwehrmaßnahmen der Hitlergegner in den hitzigen und oft nicht gewaltfreien Streitereien der Zeit nach 1930 zu persönlichen Feindschaften geführt. Die SPD hatte im Dezember 1931 als Reaktion auf die Harzburger Front und den Marsch der 100.000 Nazis in Braunschweig eine Woche später die Eiserne Front gegründet. Dieser Zusammenschluss aus SPD, Reichbanner Schwarz-Rot-Gold, einem seit 1924 bestehendem überparteilichem Bündnis gegen rechtsextremistische Republikfeinde, den sozialistischen Gewerkschaften und Arbeitersportvereinen sollte den Verteidigungskampf gegen die politische und soziale Reaktion organisieren. Die KPD, in der Region mit einer stabilen Anhängerschaft, die immerhin etwa 10% der Wählerinnen und Wähler umfasste, vertreten, trat mit ihrem Rotfrontkämpferbund gegen die Nazis an - und das nicht nur mit Worten. Diese Abwehrorganisationen schützten die von gewalttätigen Nazibanden bedrohten Veranstaltungen, stellten sich deren Propagandazügen in den Weg und betrieben Anti- NS-Propaganda. Wir wissen aufgrund fehlender Forschung nicht, was im heutigen Vienenburg genau ablief. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass die NSDAP hier sittsamer und friedfertiger aufgetreten ist als in anderen Teilen des Landkreises oder im benachbarten Freistaat Braunschweig.

Hinter dem Hass auf die Republik und die Arbeiterbewegung verbarg sich auch der Neid auf deren Lebensleistung. Gerade in der traditionsreichen Sozialdemokratie galt Lernen und Bildung als Schlüssel zum individuellen Aufstieg, ein Aufstieg, der aber seine Wurzeln nicht verriet, sondern dem Milieu verhaftet blieb. Mit Regierungsbeteiligungen im Reich, in Ländern und Kommunen stützte die SPD dieses Bestreben nach einem besseren Leben: vom Wohnungsbau, Kultur-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen bis hin zum Kampf um ein emanzipatorisches Schulwesen prägte sozialdemokratische Politik diesen Weg zum Sozialismus, wie man sich ihn damals gemeinhin vorstellte. Diese Politik drohte Privilegien von Stand, Besitz und Herkommen zu zerschlagen. Kultur und Kunst, freies Leben und Selbstbestimmung erschreckten den untertänigen Bürger. In den fünf Ortschaften Vienenburgs waren die Sozialdemokraten nicht nur politisch stärkste Kraft, sondern bildeten ein eng verbundenes Milieu demokratisch-republikanischer Lebenswelt und Kultur. Hier in Vienenburg konnte man von der Gegenseite hautnah sozialdemokratische Politik - gerade in den Jahren 1927-1930 - betrachten: mit sehnsüchtiger Anerkennung, gelb vor Neid oder wutschnaubend vor Angst um Einfluss und Macht. Die Sozialdemokratie hatte sich vielerorts eine Gemeinschaft geschaffen, auf die verstohlen wünschend geschaut und die auch deshalb mit Hass verfolgt wurde. Diese Einstellungen werden auch in Meldungen der bürgerlichen Zeitungen deutlich:

"Herr Thielemann kneift!" Herr Thielemann aus Braunschweig, durch seine Angriffe gegen Klagges unrühmlich bekannt, sollte am Freitag in einer Versammlung der 'Eisernen Front' sprechen. Es hatten sich ganze 70 Männlein und Weiblein eingefunden. Nachdem man noch eine Stunde vergeblich auf den fehlenden Zustrom der Hörer gewartet hatte, wurde den 16 NSDAPlern, die im Saale anwesend waren erklärt, dass ihnen keine Aussprache gewährt würde. Darauf verließen diese den Saal, da sie ohne Gegenrede den Vortrag nicht anhören wollten. Warum kneift man vor einfachen Bergarbeitern, so fragte die Nationalsozialistische Betriebszellen- Organisation?" (Otto Thielemann war SPD-Funktionär aus Braunschweig, P.S.)

Ganz abgesehen davon, dass hier die GZ offen Partei für die Nazis ergreift - das war halt ihre Linie seit der Jahreswende 1931/32 - kündet der schon schmerzhaft bemüht gehässige Ton von erheblicher Aggression.
Auch die nächste Meldung zeigt dies:
"Die 'Heisere Front' hatte von hier und vor allen Dingen aus der weiteren Umgegend ihre Anhänger zu einer Demonstration zusammengezogen. Auf Rädern und Motorrädern durchfuhren sie unseren Ort und heisere Sprechchöre störten den Sonntagsfrieden durch den lieblichen Ruf 'Hitler verrecke!' An der Ecke der Osterwiecker Straße kam es zu einem Zusammenstoß mit national gesinnten Personen, der aber ohne ernste Folgen verlief. Diese 'Demonstration' war durch ihren Gegensatz zu dem geschulten und erzogenen Auftreten der SA eine wirkungsvolle Werbung für die NSDAP".12

Die bürgerlichen Blätter der Umgebung, die Goslarsche Zeitung, die Harzburger Zeitung, die Branschweigische Landeszeitung, um nur die zu nennen, die ich aus eigener Recherche beurteilen kann, hatten ihren auf Hindenburg geeichten deutschnationale Kurs verlassen und unterstützten bei intensiver Hetze gegen die Sozialdemokratie die Nationalsozialisten: "Unser Kandidat heißt Hitler", lautete nicht nur der verschwörerische Schlachtruf der Goslarschen Zeitung zur Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932. In den Medien zeigte sich der Charakter der bürgerlichen Existenzen zuerst. Bevor der deutsche Michel im Pulk des Mobs mit dem Knüppel auf die Straße ging, um Demokraten, Linke und Juden zu hetzen, heizte ihm die Presse ein.

Der amerikanische Soziologe Seymour Lipset ermittelte auf der Grundlage genauer Untersuchungen zur Weimarer Zeit, woher die Truppen der Nazis kamen. Er dementierte die in den Nachkriegsjahren beliebte Auffassung, nach der die Gemäßigten der Mitte Garanten der Demokratie seien. Er hob hervor, dass die inhaltliche, weltanschauliche Nähe von Nationalsozialismus und damaligem liberalen Demokratismus, etwa dargestellt in den deutschen Volksparteien unterschiedlicher nationalistischer Prägung, eng gewesen sei. Er nannte "Hitler, ein(en) Extremist(en) der Mitte" denn dieser konnte auf diese zählen "je weiter die wirtschaftliche und soziale Krise in Deutschland sich ausbreitete."13

Besinnen wir uns dieser historischen Analysen und schauen auf die Gegenwart. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt sind fast 48 % der Berechtigten dem Urnengang ferngeblieben und 40.000 haben die NPD gewählt. Wenn in diesem Land nur 57 % der Bevölkerung des Bundeslandes der Meinung sind, dass sich "in den letzten 20 Jahren seit der Einheit die Demokratie eher zum Positiven entwickelt hat"14, dann bedeutet diese Skepsis und Gleichgültigkeit gegenüber einem Gemeinwesen, das für sein Funktionieren auf die aktive Teilhabe der BürgerInnen angewiesen ist, eine schwere Hypothek. Demokratieferne bis rechtsextremistische Einstellungen am organisierten Rechtsextremismus festzumachen, greift deshalb zu kurz.

So lautet auch der gemeinsame Tenor neuer wissenschaftlicher Studien zum Zustand unserer Gesellschaft. Wenn die vom organisierten Rechtsextremismus vertretenen Einstellungen, Vorstellungen, Vorurteile und ideologischen Weltbilder sich nicht in parlamentarisch-politischen Erfolgen niederschlagen, heißt das ja nicht, dass diese nicht viel weiter verbreitet sind, als Wählerstimmen anzeigen. Die jüngste Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Rechtsextremismus15 nimmt "Die Mitte in der Krise" in einen doppelten Blick: Einmal wird der Wandel von Verhalten und Einstellungen der "Mitte" in der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftskrise theoretisch und historisch untermauert empirisch erfasst. Zum anderen wird die Krise, in der sich die gesellschaftliche Mitte befindet, diskutiert.

"Wenn die demokratische Gesellschaft von rechtsextremer Einstellung in Frage gestellt wird, dann äußert sich hier ein Problem der Gesellschaft selbst, das aufgeklärt werden muss."16

Einige ausgewählte Daten aus dem umfangreichen empirischen Material seien genannt:

Diese Abgrenzungsstrategie zwecks Selbsteinschluss in eine vorgestellte Welt desVolksganzen manifestiert sich besonders in islamfeindlichen Aussagen:
Dass diese massiver werdende Ausgrenzung des Fremden mit einem bis in formulierten Rassismus reichenden Nationalchauvinismus einhergeht, ist schon in vorangegangenen Untersuchungen deutlich geworden. Die Autoren betonen: "Die Bedrohung der Demokratie ist nicht von den Rändern, sondern aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu verstehen." "Das Phänomen steht der Gesellschaft scheinbar gegenüber, entspringt aber aus ihrer Mitte", denn der wirtschaftliche Wohlstand, der als "narzisstische Plombe" wirkt, bröckelt massiv, die Plombe ist brüchig geworden.18

Wenn man sich vor dem Hintergrund solcher Forschungsergebnisse19 Sarrazin und seine im doppelten Sinn gutbetuchten Klaqueure ansieht und anhört, kann man erahnen, wie sich die NPD in ihrem Slogan sonnt. Mit dem Spruch "NPD...aus der Mitte des Volkes" schwingt sich diese Partei zum Organ der Befindlichkeit der deutschen Mitte auf. Gewiss entspringt diese großmannssüchtige Parole eher dem Drang nach anerkennender Wahrnehmung durch Teile der deutschen Mitte als einer Realitätsdiagnose. Aber: haben sie so Unrecht? Steckt hinter der beflissenen Ausgrenzungspraxis gegenüber dem Rechtsextremismus nicht die Wunschvorstellung, dass sich die Mitte gegenüber dem als rechten Rand von Gesellschaft definierten Rechtsextremismus immun zeigen möge? Ich denke, der Alltag zeigt und die eben zitierten Untersuchungen belegen: Teile der Mitte leben in rechtsextremistischen Einstellungen und Weltbildern und verkaufen dies als gesundes Volksempfinden, das nichts mit Rechtsextremismus zu tun habe.

Ich denke, diese Manöver zu erkennen und um die in der Mitte vertretenen Einstellungen zu ringen, wird im Kampf gegen den Rechtsextremismus sinnvoll sein. So bekommt man die Möglichkeit, ihm sein Zustimmungs- und Wählerreservoir streitig zu machen. Denn dass die NPD um die 5%-Marke dümpelt, liegt nicht daran, dass ihr die Wähler und Unterstützer prinzipiell fehlen. In Frankreich hat der Front national mit der neuen Ikone Marine Le Pein gerade bei den Kantonswahlen 18% der Stimmen, 2% mehr als die UMP gewonnen. In Ungarn regiert der Rechtsextremismus im bürgerlichen Gewand, in den Niederlanden hat er an der Macht teil. Wächst hier in Deutschland aus dem bürgerlichen Lager ein seriös erscheinender, attraktiv wirkender und eloquenter Prediger der Ausgrenzung und des antiglobalen Deutschtums hervor, dann werden wir ähnliche Verhältnisse haben: die NPD wird samt ihren Kameradschaften zur Haudrauf-Truppe einer rechtspopulistischen Bewegung mutieren. Dies, denke ich, gilt es zu bedenken, wenn wir gegen Rechts und für Demokratie eintreten. Die vom Rat der Stadt Vienenburg am 27. Febr. 2007 beschlossen Resolution gegen Rechtsextremismus und für Demokratie20 gilt es also mit Leben zu erfüllen.

Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang mal darüber nachgedacht werden, die Geschichtsseite von Lengde im Internet zu korrigieren. Dort steht noch ein Text, in dem der Autor meint: "Über die Zeit des 'Tausendjährigen Reiches' in Lengde möchte ich ohne Kommentar hinweg gehen. Wie überall, so gab es auch in Lengde etliche 'Schwarze Schafe' - von welcher Seite man es auch immer betrachtet. Denunziationen führten sogar so weit, dass einige Lengder zur Schein-Exekution auf den Dorfplatz geführt wurden. - Wie gesagt, zu viele unserer Lengder Zeitgenossen waren zu sehr beteiligt, als dass jene Zeit zu sehr in Erinnerung gebracht werden sollte".21

Sie wissen es doch besser.



1 Vortrag anlässlich der Gedenkveranstaltung der SPD-Vienenburg an die am 27.März 1933 von Nationalsozialisten gequälten BürgerInnen Vienenburgs. Aus der Einladung: "Sehr geehrte Damen und Herren, im März 1933 wurden Vienenburger BürgerInnen von den Nazis verhaftet und im ehemaligen Gemeindehaus in der Heilerstraße gequält und gefoltert. Aus diesem Anlass veranstalten die Vienenburger Sozialdemokraten alljährlich am Mahnmal in der Heilerstraße ein Gedenken mit Festansprache und Kranzniederlegung, begleitet vom Posaunenchor der evangelischen Kirchengemeinde. Gleichzeitig möchten wir Sie auf eine Veranstaltung des Vienenburger "Bündnis gegen Rechts" mit dem Historiker Dr. Peter Schyga aus Hannover mit dem Thema aufmerksam machen, die im Anschluss an die Gedenkstunde stattfindet. Zu beiden Veranstaltungen laden wir Sie recht herzlich ein."
2 Dokument aus Vienenburg, das mich erreicht hat und dessen genaue Quelle noch ermittelt werden muss.
3 Zu den Ereignissen und der allgemeinen politischen und sozialen Geschichte Goslars in dieser Zeit vgl. Peter Schyga 1999: Goslar 1918-1945. Von der nationalen Stadt zur Rechbauernstadt des Nationalsozialismus, Bielefeld.
4 Michael Wildt 2007: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg (Hamburger Edition).
5 http://lengde-info.de.tl/geschichte htm; 21.03.11
6 Die Wahlergebnisse sind ff Ausgaben der Goslarschen Zeitung entnommen:15.9.1939,; 1.8.1932; 7.11.1932
7 Vgl. zu Leben und Werk vergleiche die Beiträge in: Rudolf W. Müller u. Gert Schäfer 1986: Arthur Rosenberg zwischen Alter Geschichte und Zeitgeschichte, Politik und politischer Bildung. Reihe Zur Kritik der Geschichtsschreibung Band 4, Göttingen/Zürich.
8 Alfred Rosenberg 1972 (13): Geschichte der Weimarer Republik, Frankfurt a. Main (EVA) S. 171. Nach seinem 1928 veröffentlichten Buch Die Entstehung der Deutschen Republik 1971-1918 erschien die Geschichte der Deutschen Republik im Exil 1935 in Karlsbad. Beide Bände wurden 1955 bzw. 1961 von Kurt Kersten neu herausgegeben.
9 Vgl. Theodor Geiger 1932: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage, Stuttgart 1932, S.73
10 Theodor Geiger 1930: Panik im Mittelstand. In: Die Arbeit. Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55, S.637-654, 641,646.
11 Georg Simmel 1908: Soziologie. Über die Formen der Vergesellschaftung, Frankfurt a. Main, S. 451f.
12 Beide Meldungen aus der Goslarschen Zeitung v. 11.7.32. Verfasst von einem Lokalredakteur mit dem Kürzel Rs.
13 Seymour M. Lipset 1959: Der "Faschismus", die Linke, die Rechte und die Mitte. In Ernst Nolte (Hg.) 1984: Theorien über den Faschismus, Köln, S.456,461.
14 Everhard Holtmann, Tobias Jaeck, Kerstin Völkl 2010: Sachsen-Anhalt-Monitor 2010, Magdeburg, Tab.S.27.vIm Text heißt es: "Nur 30% ziehen eine negative Bilanz." Als ob dies etwas Positives sei. http://www.sachsen-anhalt.de/LPSA/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/Bibliothek_LpB/Landespoliti k/Sachsen_Anhalt_Monitor_2010_II.pdf.
15 Oliver Decker, Marlies Weißmann. Johannes Kiess, Elmar Brähler 2010: Die Mitte in der Krise. Rechtsextremistische Einstellungen in Deutschland, herausgegeben von Nora Nonnenmacher, Friedrich-Ebert- Stiftung Forum Berlin, Berlin. Erhältlich als pdf unter www.fes-gegen-rechtsextremismus.de.
16 O. Decker u.a. a.a.O., S.38.
17 Vgl. dazu meine Aufsätze: Auch "deutsche Zustände" haben eine Geschichte. Über die Zunahme rechtsextremistischer Weltbilder in der "Mitte", in: Kommune Nr. 1/07, S.29-31 und: Rechtsextremistische Einstellungen in den Regionen. Zu aktuellen Studien über die Entwicklung des Rechtsextremismus, in: Kommune Nr. 2/09, S.63.
18 O. Decker u.a, a.a.O., S.28, 58, 40-41.
19 Vgl. auch: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.) 2010: Deutsche Zustände. Folge 9, Frankfurt a. Main
Vgl. www.vienenburg.eu/home/resolution-grechts.html. (21.03.11) Hilfreich für die tagtägliche Auseinadersetzung mit der NPD scheint mir eine genaue empirische Untersuchung aus Sachsen-Anhalt, einem Stützpunkt der Rechtsextremen, zu sein. Vgl. Pascal Begrich, Thomas Weber, Roland Roth 2010: Die NPD in den Kreistagen Sachsen-Anhalts. Forschungsbericht zur kommunalpolitischen Arbeit der extremen Rechten sowie zu Formen und Strategien der demokratischen Auseinandersetzung, Magdeburg; http://www.sachsenanhalt.de/LPSA/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Hingucken/Menuepunkt1/6.10.npdbrosch.pdf.
21 http://lengde-info.de.tl/geschichte htm; 21.03.11


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