- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Goslar und die Harzburger Front - die Radikalisierung des Bürgertums.
Peter Schyga, Hannover
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In seinem jüngst erschienen Buch Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation vergleicht
der Trierer Historiker Lutz Raphael die politischen, sozialen und ideologischen
Bewegungen in den Ländern Europas zwischen 1914 und 1945.
Dabei zeigt er zentrale - wie man heute manchmal sagt - mentale Gemeinsamkeiten
im Europa der Zwischenkriegszeit auf, ohne in Relativismus zu verfallen:
Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, radikaler Antibolschewismus gehörten
überall in Europa zum Allgemeingut nationalliberaler und konservativer Kreise - auch
in gefestigten Demokratien. Imperiale Politik und Ansprüche waren vielerorts eine
Selbstverständlichkeit wie nationale Selbstbehauptung, weshalb solche Tendenzen im
Deutschland der Nachkriegszeit zwar von außen mit einigem Argwohn betrachtet
wurden, aber als normal galten und deshalb auch nach 1933 bis 1938 als hinnehmbar
erachtet wurden. "Rassehygienisches" und sozialdarwinistisches Gedankengut
schwirrte nicht nur in europäischer Wissenschaft und Geisteswelt umher, sondern
erfuhr in den 30er Jahren in einigen Ländern auch politische Umsetzung.
So schienen etlichen Regierungen der europäischen Nachbarländer die eugenische
Gesetzgebung der Nationalsozialisten 1933 und sogar zentrale Elemente der
antijüdischen Rassegesetze - einem in bürgerlichen Kreisen weit verbreiteten
europäischen Antisemitismus entsprechend - wenig bemerkenswert. Raphael spricht
von einem "kulturellen Code, der in den europäischen Gesellschaften grassierte".
1
In diesem europäischen Konglomerat gilt es die Besonderheiten der deutschen
Entwicklung hervorzuheben, Besonderheiten, die nicht irgendwann nach 1933 zum
Ausdruck kamen, sondern sich schon im Prozess der Zerstörung von Weimar und der
Machthergabe an die Nationalsozialisten massiv zeigten.
"Nur im deutschen Fall kam es zu einer dauerhaften Fusion der radikal rassistischen,
antisemitischen Strömungen mit dem national-chauvinistischen bzw.
nationalkonservativen Lager. Während in allen anderen Ländern die radikalen
Strömungen nach Art der Hitlerbewegung eine Randexistenz führten und auch
organisatorisch von den nationalkonservativen Richtungen getrennt blieben, wurden
diese im deutschen Fall so absorbiert, dass sie im "Dritten Reich" ihren Platz fanden
und vor allem auch in das Weltanschauungsfeld des Nationalsozialismus integriert
wurden. ...Das imperialistische Erbe aus Kaiserreich und Erstem Weltkrieg war in der
deutschen Nachkriegsgesellschaft breiter verankert als in der italienischen. ... Die
kollektive Verdrängung der Niederlage im Ersten Weltkrieg und die daraus
resultierende moralische Ablehnung des Versailler Friedens schufen einen idealen
kollektiven Resonanzboden für die nationalsozialistische Inszenierung der
Volksgemeinschaft, bei der es immer auch um die Wiederherstellung von
Großmachtstatus und Weltgeltung ging.
Diese Dimension sicherte dem Regime die Unterstützung der Eliten, vom preußischen
Adel bis zu den rheinisch-westfälischen Unternehmern, den nationalkonservativen
oder nationalliberalen Hochschullehrern und der Ministerialbürokratie. Kulturellvölkische
und rassenbiologische Deutungen und Motive wurden dabei immer wieder
miteinander vermischt."
2
Damit sind einige Motive für den Schulterschluss zwischen den traditionellen und
herrschenden deutschen Eliten und den neuen Kräften der NS-Bewegung genannt, der
am 11. Oktober 1931 beim Treffen der "nationalen Front" in Bad Harzburg hergestellt
wurde.
Man mag mit einigem Recht diesem Tag mehr symbolische als realpolitische
Bedeutung zumessen wollen. Man mag, wie in Teilen der Historiografie oft
wiederbelebte Tradition aus der Nachkriegszeit, den Dissens zwischen Hitler und
seinen national-chauvinistischen Bürgerpartnern betonen. Doch dabei wird zumindest
zweierlei verkannt:
Im strategischen Ziel, die Krise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung durch eine
Zerschlagung der Arbeiterbewegung und ihres politischen Aktionsfeldes, der
demokratischen Republik, nachhaltig zu überwinden und eine imperiale Stellung
Deutschlands herzustellen, waren sich die Protagonisten einig. Man studiere nur die
Reden im Kurhaus.
Und - man darf heute an eine in die Jahre gekommene aber weiterhin gültige
Erkenntnis, die in der jüngeren Historiografie - Raphael reiht sich hier ein - gern
unterschlagen wird, erinnern:
Der "Sozialismus" der NSADP versprach, die Kapitalbesitzverhältnisse unangetastet
zu lassen und die Klassengegensätze zugunsten der Kapitaleigner mit
Gemeinnutzidelogemen und legalistischen Gesetzgebungseifer garniert gewaltsam zu
unterdrücken. Die NSDAP versprach der entscheidende Rammbock gegen die in
Weimar und in ganz Europa geltend gemachten gesellschaftlichen
Emanzipationsansprüche der Arbeiterklasse zu sein. Soweit die strategische
Ausrichtung von Bad Harzburg.
In der unmittelbaren Gegenwart manifestierte sich dieser Akt sofort und wirksam in
der politischen Realität. Auf der Kundgebung riefen die Führer vor ihren uniformierten
Verbänden und aufmerksamem Publikum zum Sturz der Regierungen von
Reichskanzler Brüning und Ministerpräsident Braun (Preußen) auf und verlangten die
Einsetzung einer "wirklichen Nationalregierung" durch den Reichspräsidenten v.
Hindenburg. Ihre Misstrauensanträge am 16. Oktober gegen das 2. Kabinett Brüning
scheiterten nur knapp. Zwei Tage später demonstrierte Hitler mit dem Marsch der
100.000 SA-Kämpfer im benachbarten Braunschweig seine Macht und bewies
Dominanz gegenüber den rechtsnationalistisch-bürgerlichen Kreisen von Bad
Harzburg. Die Nationalsozialisten in den Koalitionsregierungen der Länder
Braunschweig und Thüringen wurden gestärkt. Grundlegende Revisionen
demokratischer Errungenschaften prägten dort die Politik. In Braunschweig wütete der
NS-Mob mit Rückendeckung und tatkräftiger Unterstützung der staatlichen Behörden.
Der Charakter einer Politik der "Nationalen Regierungen" wurde mit der Entlassung
des Kabinetts Brüning am 30. Mai 1932 deutlich. Franz von Papen bildete das
Kabinett der "nationalen Konzentration". Nach dem erzwungenen Rücktritt des
republikloyalen Reichswehrministers Groener am 13. Mai übernahm nun General v.
Schleicher dieses Amt. 10 Tage nach Auflösung des Reichstags am 4 Juni wurde das
SA-Verbot vom 13. April wieder aufgehoben. Am 29 Juli gelang der Regierung
Papen/Schleicher mit dem so genannten Preußenschlag in einem staatsstreichähnlichen
Manöver die Absetzung der geschäftsführenden preußischen Regierung Braun-
Severing.
Dass gegen diesen Putsch anders als noch 1920 beim Kapp-Putschversuch von Seiten
der Arbeiterbewegung keine Gegenwehr organisiert werden konnte, ist ein deutliches
Zeichen ihrer Schwäche. Und diese war nicht nur Ausdruck von politischer und
ideologischer Zerstrittenheit, sondern Ergebnis konsequenter Sozial- und
Arbeitsmarktspolitik der herrschenden Klasse in Politik und Wirtschaft. Ein leerer,
demoralisierter Magen kämpft nicht.
Ich will Sie jetzt nicht mit weiteren Einzelheiten des deutschen Weges zur Diktatur
behelligen, nur soviel lässt sich retrospektiv sagen: Der Anfang vom Ende Weimars
war eingeläutet, und - Bad Harzburg motivierte und mobilisierte die Teile der breiten
deutschen Mittelschichten, die sich bis dahin die Republik in indifferenter Distanz
"gefallen" ließen, die "bei jeder ernsten Krise bereit waren, der demokratischen
Republik den Rücken zu kehren,"
3 um beim Angriff auf Demokratie und Republik
mitzutun, wie der zeitgenössische Historiker Arthur Rosenberg einmal formulierte.
Bevor ich in Schilderung und Analyse fortfahre, lassen Sie mich einige kurze
Bemerkungen über anscheinend nicht zu überwindende Friktionen beim Herstellen
von Geschichtsbildern einflechten.
Es gibt gegenüber dem historischen Blick, der immer ein rückwärts gerichteter ist, den
in manchen Kreisen wohl ewig beliebten Einwand, er berücksichtige die Lebens- und
Gefühlslage der in damaliger Gegenwart lebenden und handelnden Menschen nicht
hinreichend, würde also Urteile provozieren, die der historischen Lage nicht
angemessen seien. Mit anderen Worten, man werde den Menschen in ihrer Zeit nicht
gerecht.
Hinter dieses Empathie heischenden, sich oft auf das Rankesche Diktum des "Sagen,
was war" berufenden Begriffs von Geschichte verbirgt sich die Vorstellung,
Vergangenheit erkläre sich durch sich selbst. Dass in dieser Folie von
Vergangenheitsbetrachtung immer auch ein Rechtsfertigungsmodus eingeschweißt ist,
der Verantwortungen von Handelnden entsorgt, scheint ein willkommener zentraler
Effekt. Das sprichwörtliche Rädchen erhält eine Nichtbedeutung im Getriebe des
großen Weltengangs, sein Handeln wird durch ihn quasi legitimiert.
Die moderne, aktuell im Geschichtsinterpretationswesen des Sozialpsychologen
Harald Welzer Aufmerksamkeit generierende Form dieser Sichtweise, spricht von
situativen Handlungsoptionen, von Referenzrahmen, in denen sich Menschen quasi
gefesselt bewegen würden. Diese Betrachtungsweise soll den retrospektiven
Betrachter in die damalige Gegenwart versetzen. Die historische Gegenwart wird dann
so inszeniert, dass Handlungen zumindest schlüssig, wenn nicht alternativlos
erscheinen. Damit wird der Beobachter in die Rolle eines Teilhabers gedrängt, mit der
Frage, "was hätte ich getan?" konfrontiert und so in die Suggestion von
Unausweichlichem gezwungen.
Mit Geschichte, der es um Wissen und Kenntnis, um Begreifen und qualifiziertes
Urteil geht, hat das dann allerdings nichts mehr zu tun. Vielmehr wird sie ersetzt durch
suggestive Imagination von selektiv vermitteltem Vergangenem.
Wir erarbeiten uns Geschichte, indem wir zeitgenössisches Handlungen, Diagnosen
und Artikulationen in immer wieder in neu vermittelte Zusammenhänge von Taten,
Handeln, und formulierten Gedanken bringen, die uns die Quellen liefern. Vor allem
müssen die Menschen, die Geschichte machen - und da rede ich von allen, die wir als
Handelnde erfassen können -, als Akteure ernst nehmen, auch diejenigen, die als
Verlierer geschichtlicher Prozesse zu oft vergessen sind.
Hannah Arendt betonte, dass es im Politischen nicht um "ein Handeln aus
Verantwortung geht, sondern dass erst durch das Handelns Verantwortung entsteht."
4
Sie ging soweit zu sagen, dass wir "Verantwortung tragen für Handlungen und
Ereignisse, sogar wenn wir sie nicht kontrollieren oder nicht einmal antizipieren
können."
5 Vor diesem Erkenntnishintergrund beobachten wir retrospektiv Wort und
Tat, Wollen und Intention, Durchführung und Ergebnis. Dabei befragen wir die später
sich oft distanzierenden Akteure allerdings auch, ob sie nicht 1933 genau das erreichen
wollten, was bis zum Februar 1943 mit ihrer aktiven Teilhabe Wirklichkeit geworden
schien - Herrenmenschenherrschaft in Europa. Die Handelnden von Harzburg und ihre
nachahmenden Mitmacher ersetzten bürgerschaftliche Verantwortung durch
Selbstermächtigung, um ein Konglomerat von Partikularinteressen im Namen des
Volkes, der Nation oder Gottes durchzusetzen. Damit übernahmen sie Verantwortung
für die Zukunft. Wir haben als Teile eines demokratischen politischen Gemeinwesens
die Aufgabe, uns der Verantwortung auch dieser Geschichte zu stellen.
Ich werde also Menschen hier vor Ort in den Blick nehmen, diesen und jenen
vergleichenden Exkurs anreißen. Dies geschieht heute paraphrasierend, mehr lässt
solch eine Veranstaltung nicht zu.
Ihnen ist ja bekannt, dass ich zum Goslar der NS-Zeit und Teilen der Vorgeschichte
schon einige, wie ich meine, grundlegende Untersuchungen, veröffentlicht habe.
6 Im
Arbeitszusammenhang von Spurensuche Harzregion sind zusätzliche spezielle
Untersuchungen dazugekommen. Mancher mag diese Schriften kennen. Öffentlicher
Widerspruch wurde nie artikuliert. Ich weiß jedoch ebenso wie sie, dass es wirksamere
Mittel gibt, historische Wahrheit in Nischen versauern zu lassen, um altbackene
Vorurteile und interessegeleitete Geschichtsdeutung zu erhalten, als öffentlichen
Disput. Preisgekrönte Anerkennung gibt es in dieser Stadt eher für wohlfeile
Affirmation. Um mich also nicht zu wiederholen und Sie vorsätzlich zu langweilen,
werde ich heute auf die Darstellung der allgemeinen Entwicklung in dieser Stadt
verzichten. Ich versuche diese und jene Besonderheit - so sie denn existierte -
darzulegen: Kann man neben den eben angedeuteten und gleich weiter zu
konkretisierenden allgemeinen Tendenzen einer antirepublikanischen Radikalisierung
des deutschen Bürgertums Spezifika in der politischen Haltung der Goslarer
autochthonen Eliten ausmachen?
Lassen Sie mich zur Einführung eine zeitgenössische Wahrnehmung zum Zustand des
deutschen Bürgertums voranstellen:
"Alles scheint möglich, scheint erlaubt gegen den Menschenanstand, und geht auch die
Lehre dahin, dass die Idee der Freiheit zum bourgeoisen Gerümpel geworden ist, ...
(es) erscheint die lehrweise abgeschaffte Freiheit nun wieder in zeitgemäßer Gestalt
als Verwilderung, Verhöhnung einer als ausgedient verschrienen humanitären
Autorität, als Losbändigung der Instinkte, Emanzipation der Rohheit, Diktatur der
Gewalt. ... Der exzentrischen Seelenlage einer der Idee entlaufenen Menschheit
entspricht eine Politik im Groteskstil mit Heilsarmee-Allüren, Massenkrampf,
Budengeläut, Halleluja und derwischmäßigem Wiederholen monotoner Schlagworte,
bis alles Schaum vor dem Munde hat. Fanatismus wird Heilsprinzip, Begeisterung
epileptische Ekstase, Politik wird zum Massenopiat des Dritten Reiches oder einer
proletarischen Eschatologie, und die Vernunft verhüllt ihr Antlitz."
7
So formulierte der deutsche Dichter Thomas Mann als Bürger der Weimarer Republik
im Oktober 1930, also wenige Wochen nach den fünften Reichstagswahlen, bei denen
6,5 Millionen Wählerinnen und Wähler (= 18,3%) den Nationalsozialisten zu 107
Mandaten verholfen hatten. [In Goslar votierten 3.800 der 13.700 Wähler für die
NSDAP, die damit hier 28,4 % also 10 % mehr als im Reichsdurchschnitt erhielt.]
Der deutsche Nationaldichter der Moderne sprach sozusagen vor Seinesgleichen. Er
beschwor im Beethovensaal in Berlin das deutsche Bürgertum, den Nationalsozialisten
energisch entgegenzutreten, weil diese im Begriff wären, die deutsche Kulturnation zu
zertreten. Und er ging in dieser Rede einen für seine Verhältnisse gewaltigen Schritt
weiter. Er empfahl seinen Zuhörern, über den Abdruck der Rede im Berliner Tageblatt
einen Tag später auch dem lesenden Bürgertum, die Unterstützung der
Sozialdemokratie. Er begründete dies ausführlich. Ich beschränke hier seinen Appell
auf wenige Zitate:
"Die sozialistische Klasse ist, im geraden Gegensatz zum bürgerlich-kulturellen
Volkstum, geistfremd nach ihrer ökonomischen Theorie, aber sie ist geistfreundlich in
der Praxis - und das ist, wie heute alles liegt, das Entscheidende."
8
Th. Mann schließt mit den Worten: Wenn er seiner Überzeugung Ausdruck verleihe,
"dass der politische Platz des deutschen Bürgertums heute an der Seite der
Sozialdemokratie ist, so verstehe ich das Wort -politisch- im Sinn dieser [er meint der
nationalen] inneren und äußeren Einheit. Marxismus hin, Marxismus her, - die
geistigen Überlieferungen deutscher Bürgerlichkeit gerade sind es, die ihr diesen Platz
anweisen; denn nur der Außenpolitik, die der deutsch-französischen Verständigung
gilt, entspricht eine Atmosphäre im Innern, in der bürgerliche Glücksansprüche wie
Freiheit, Geistigkeit, Kultur überhaupt noch Lebensmöglichkeit besitzen."
9 Soweit das
Bild von Gegenwart eines auch damals nicht unbedeutenden Zeitgenossen.
Man kann aus späterer Sicht durchaus der Meinung sein, dass Th. Mann die
Rückgratsstabilität des deutschen Bürgertums, seine innere demokratische Stärke und
politische Gestaltungsfähigkeit und seinen Gestaltungswillen idealistisch beurteilt hat.
Doch er hatte sehr klar gezeigt, dass ein aktiver Zusammenschluss um Republik,
Demokratie und Recht, der die zerstörerischen Kräfte eindämmen könnte, das Gebot
der Stunde wäre. Über des Gemeinbürgers geistige Befindlichkeit irgendwo im
Bereich schwadronierender Neoromantik, esoterisch anmutendem Kulturpessimismus
und aggressiv-nationalistischem Revanchismus machte er sich allerdings keine
Illusionen.
Wie wir wissen, ging sein Appell ins Leere. Es ist anders gekommen. Statt sich hehrer
Werte bürgerlicher Tradition Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Th.
Mann spricht von "demokratischer Moralität" - zu besinnen und um deren
Durchsetzung in der Politik und im Politischen zu ringen, hat sich das deutsche
Bürgertum in seiner Mehrheit in einem politisch-symbolischen Akt mit Hitlers
Nationalsozialisten verbündet.
Dieser wurde umrahmt von hymnischer Gottesanbeterei und martialischem
Gleichschritt der SA- und Stahlhelmeinheiten, ihn begleiteten entgeistigte, Gewalt
beschwörende, nach Macht dürstende, Vernichtung androhende Reden im Harzburger
Kurhaus, dem Versammlungsort. Dort hatte sich viel Prominenz eingefunden:
Es redeten in der Reihenfolge: Hugenberg, Hitler, Seldte, Duesterberg, der Führer des
Reichslandbundes Graf von Kalckreuth, der ehemalige und später von Hitler wieder
ins Amt gesetzte Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, Justizrat Claß, Führer des
Alldeutschen Verbandes, General Graf v. d. Goltz, Führer der nationalen Verbände.
Dieser Schulterschluss wurde schriftlich festgehalten in der Resolution von Bad
Harzburg. Sie weist den Weg in die Diktatur, in ihr sind zudem wesentliche
Grundpfeiler der Politik nach dem 30. Januar 1933 vorweggenommen:
Die gemeinsame Entschließung formuliert den Akt: Die Abschaffung der Grundrechte,
die Zerschlagung der Arbeiterbewegung zugunsten einer nationalen
Wirtschaftsgemeinschaft, die Ächtung kultureller Befreiung, die Revanche für
Versailles und die Schaffung einer Volksgemeinschaft der Rassegleichen. Alle Redner
beschworen mit unterschiedlicher Betonung den Kampf gegen Bolschewismus,
Sozialdemokratie und internationales Judentum, kündeten von der bevorstehenden
nationalen Erhebung Deutschlands.
Das Presseecho in Deutschland war groß. Im Ausland erfuhr Hjalmar Schachts
Vortrag, vom Redakteur der GZ als "sensationell" hervorgehoben, besondere
Beachtung, weil er nicht nur die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Republik
grundsätzlich verwarf, sondern darüber hinaus den Entwurf einer nationalen,
weitgehend autarken Volkswirtschaftsgemeinschaft propagierte. Schacht gerierte sich
als parteipolitisch unabhängiger Fachmann und formulierte in Erweiterung und
Radikalisierung seiner Denkschrift gegen den Young-Plan vom 6. 12. 1929
Grundsätze nationalsozialistischer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die er selbst ab Mitte
1933 mit umsetzen sollte.
Wie wurde dies Treffen hier in Goslar aufgenommen? Wenn man als Historiker solche
Frage formuliert, weiß man, dass eine Antwort nur aus selektiven Wahrnehmungen
bestehen kann. Diese Einschränkung in Kauf nehmend, ist es angemessen der
Berichterstattung und Kommentierung in der Goslarschen Zeitung einen
repräsentativen Charakter zuzuschreiben. Dies historiografische Verfahren legitimiert
sich aus meinem Wissen um die kulturelle und politische Meinungsführerschaft dieses
Blatts in der Stadt.
Die umfangreiche Berichterstattung über das Ereignis in der Nachbarstadt und die
ausführliche Dokumentation
10 der Reden im Kurhaus wurden durch einen Kommentar
des als deutsche Geistesgröße sich verstehenden Redakteurs Dr. Otto Gillen
eingerahmt. Ich möchte Ihnen diesen - wenigstens in Auszügen - nicht vorenthalten,
stellte er doch einen radikalen Gegenentwurf zu Th. Manns kritischer
Gegenwartsanalyse dar. Dieser Kommentar ist Ausdruck der eben erwähnten
Selbstermächtigung. Eine Provinzzeitung erhebt sich zum Sprecher eines imaginierten
Volkswillens. Und: sie sammelt nach und nach, aber in rasanter Beschleunigung eine
Mehrheit der Kommunalbürger hinter ihre politische Position, Bürger, die sich nun
selbst als Teil eines eingebildeten Volkswillens begreifen. Unter der Überschrift (GZ
v. Mo., d. 12. 10. 1931) "Das Volk steht auf" heißt es:
"Der große historische Tag der nationalen Einigung im benachbarten Bad Harzburg ist
vorüber, ein Tag, der allen, die daran teilnehmen konnten, unvergesslich bleiben wird.
Sonne und milde Herbstluft, die Farbe des Laubwaldes und der unzähligen Fahnen,
Girlanden, Blumen, Uniformen und Musik, das alles verwob sich zu einer ungeheuren
Symphonie, von deren stark pulsierenden Rhythmen all die Tausende, die sich um ihre
Führer scharten, fasziniert wurden.
Die Atmosphäre dieses unvergesslichen Harzburger Sonntags, deren belebende Kraft
sich niemand zu entziehen vermochte, war nichts anderes, als der auf kleinem Raum
zusammengeballte Geisteswille des neuen Deutschlands, des Deutschlands der
Zukunft, das zu verwirklichen der letzte Sinn der Harzburger Tagung geworden ist.
Die Bewegung, die mit unwiderstehlichen wachsender Gewalt Millionen von
deutschen Herzen und Hirnen erfasst und entbrannt hat, und die in vielen Stürmen, die
bis ins letzte Dorf hinein das deutsche Vaterland durchflutet, sammelt sich in Harzburg
in einem Becken, dessen Damm unter der Gewalt des gesammelten Drucks schier zu
zerspringen drohte, um alles Morsche, Faule und Halbe hinwegzuschwemmen.
Und doch, getreu dem Grundsatz der nationalen Bewegung, durch sich selbst und
durch den Geist zu wirken, standen alle diese von nationaler Leidenschaft bewegten
Menschen im Banne einer bewundernswürdigen Disziplin. Die Ordnung, die erste
Grundlage jeder Staatsidee, waltete über allem und gab dem Tag das Gepräge
absoluter Klarheit und Sicherheit.
Es war ein überwältigender Eindruck, die Tausende uniformierter Mannen der
nationalen Bewegung zum Feldgottesdienst am Hang der Liegewiese im Kalten Tal
aufgestellt zu sehen, ein Wald inmitten der Wälder, ein imposantes Bild höchster
menschlicher Ordnung, eine organisierte, von einem Willen beseelte Masse, über der
die Fahnen und Standarten als Symbole des neuen Deutschlands stolz und
unerschütterlich standen und als dann, nachdem das "Herr mach uns frei" des
Niederländischen Dankgebetes verklungen war, die Geistlichen von der Kanzel
herunter auf ihre aufrüttelnde, Herz und Seele bewegenden Worte über die lautlos
verharrende Menge sprachen, teilte sich das lichte Gewölk, und die Sonne träufelte
mildes Licht wie einen Segen des Himmels über die unübersehbare Gemeinde.
Wohin man sah, überall begegnetet man siegesfrohen und hart entschlossenen
Gesichtern, Gesichtern, denen man es ansah, dass es diesen Menschen ernst ist, um die
Gestaltung der deutschen Geschichte, ganz gleich, ob es sich um uniformierte
Anhänger der nationalen Bewegung oder um die Zuschauer handelte, im Grunde war
da kein Unterschied. Wo immer einer der Führer auftaucht, wurde er von allen, die in
seiner Nähe waren, mit stürmischer Begeisterung begrüßt. Die Einigung der Parteien,
Gruppen, Verbände, die der Sinn des Tages war, war bereits im Geist und in der
Wahrheit vollzogen, ehe es offiziell Form gewann. Das Volk selbst, das zu Tausenden
die Straßen und Plätze füllt, hatte sie vorbereitet und vollzogen. Und diesen Willen des
Volkes, alles Trennende hintan zu stellen um des einen großen Zieles willen, gaben die
prominenten Redner der Nachmittagskundgebung im Kurhaus kraftvollen und klaren
Ausdruck..."
11
Ich interpretiere jetzt nicht, ich wollte Ihnen nur den "Geist von Goslar" im O-Ton
näherbringen. Etwas später komme ich auf die in diesen Zeilen ausgedrückten
anmaßenden Selbstermächtigungsfantasien, die sich in grausamer Tat verwirklichen
sollten, zurück.
Ich behaupte nicht, dass Gillen die Stimmung der gesamten Goslarer Bevölkerung
wiedergibt. Das sozialdemokratische Organ etwa, die Harzer Volkszeitung, spottete
wie andere republikanische Blätter in Verkennung des Ernstes der Lage und
verhängnisvoller Überheblichkeit über die "nationale Tümelei" der uniformierten
Partei- und Stahlhelmgarden. Auch gab es noch demokratische Republikaner aus den
Mittelschichten, die sich ihren Standesgenossen verweigerten. Über diesen Kreis
wissen wir übrigens noch viel zu wenig. Vielleicht können die Forschungen zu
Katharina von Kardorff-Oheimb hier Licht ins Unwissen bringen.
12
Doch wie die örtliche Vor- und Nachgeschichte zeigt, konnte sich der von der GZ in
Worte gegossene "Geist von Bad Harzburg" in Goslar breiter Zustimmung sicher sein.
Bei den Reichspräsidentenwahlen (13.3. u.10.4.1932), wenige Monate nach dem
"nationalen Tag" von Bad Harzburg erhielt der Kandidat Hitler im 2. Wahlgang
insgesamt 7.968 Stimmen von 15.889 Wahlberechtigten, das waren 56,2%. Dies
Ergebnis lag fast 20 Prozentpunkte über dem Reichsdurchschnitt. Hindenburg, über
lange Jahre Liebling des nationalen Bürgertums und seiner örtlichen Zeitung, kam mit
über 2.000 Stimmen weniger nur auf 40,6%, fast 13 Prozentpunkte unter
Reichsdurchschnitt.
Die GZ hatte zur Wahl Hitlers aufgerufen, über alle NS-Wahlveranstaltung ausführlich
berichtet und sich dabei des journalistischen Ethos der objektiven Berichterstattung
entledigt. Frank Heine hat das in seiner als Buch erschienen Nachrichtensammlung zur
GZ ausschnittsweise dokumentiert.
13 Die hohe Wahlbeteiligung von fast 90% - und
damit höher als sonst üblich in der Stadt - zeugt von einem hohen Mobilisierungsgrad.
Dieser hatte sich schon seit Mitte Ende 1930 in hoher Publikumsresonanz bei NSPropagandaveranstaltungen
gezeigt. Kaum eine Versammlung der Nazis - meistens im
Kaisersaal, dem heutigen Odeon - war nicht überfüllt, egal wie prominent die
jeweiligen auswärtigen Redner waren.
Wer waren diese Handlenden, von denen sich etliche bald aktiv am politischen Leben
in der Stadt beteiligen sollten. Der verdienstvollen Fleißarbeit von Liselotte Krull
14
verdanken wir eine in Teilen aussagekräftige Analyse des Wählerverhaltens. Sie
ermittelte überdurchschnittliche Zustimmung zu Hitler in städtischen Wahlkreisen mit
einem relativ hohen Anteil an Angestellten und Beamten sowie Selbständigen. Diese
lagen dort bei über 65 bzw. über 70%. Die Ergebnisse der Reichspräsidentenwahl sind
für eine politische Lagebeurteilung im Ort deshalb aussagekräftig, weil sich die
DNVP-Wähler im zweiten Wahlgang mangels eines eigenen Kandidaten gezwungen
sahen, zwischen Hitler und Hindenburg zu entscheiden. Ohne sie jetzt mit
Zahlenarithmetik quälen zu wollen, sei zur Anschauung der Stimmbezirk X, - ich
nenne ihnen einige Straßennamen aus der Gegend: Oberer Triftweg, Claustor
Promenade, v. Garssenstr. etc., ein Wohnquartier der Wohlhabenden - näher
betrachtet:
Bei den Reichstagswahlen am 14.9.1930 entschieden sich von den knapp 1000
Wählern dieses Bezirks 259 =27% für die NSDAP und 206 =21,4% für die DNVP;
Staatspartei und DVP erhielten noch 7,8 bzw.14,4% der Stimmen. Als bei der
Reichspräsidentenwahl noch der DNVP-Kandidat Düsterberg zur Verfügungstand
votierten hier 22,1% für ihn und 49,8% für Hitler. Hindenburg bevorzugten 25,7%.
Als Düsterberg im 2. Wahlgang ausgefallen war, wählten 28,5% Hindenburg und 70,6
% Hitler.
Es geschah also genau das, was sachkundige zeitgenössische Beobachter allgemein
wahrgenommen hatten: Die deutsche Mitte radikalisierte sich.
Der Soziologe Theodor Geiger, 1928 vom damaligen sozialdemokratischen
Ministerpräsidenten Heinrich Jasper als Professor an die TU Braunschweig berufen,
schrieb in einem 1930 veröffentlichten Aufsatz zur Analyse des "alten" und "neuen
Mittelstandes" von beiden Teilen als dem "gesegneten Boden ideologischer
Verwirrung", der sich aus der drohenden Abstiegserfahrung von der Mitte in die
Armut speiste.
15
In einem "soziographischem Versuch", wie er eine auf teilnehmende Beobachtung und
statistische Befunde gestützte Studie von 1932
16 nannte, suchte er unterschiedlichen
Mentalitäten in den sozialen Schichtungen zu erfassen. Geiger unterschied:
"Oberschicht (Kapitalisten)" mit einem Bevölkerungsanteil von 0,92 %. Die
"Mittelschicht" unterteilte er in "alten Mittelstand (17,77 %) und neuen Mittelstand
(17,95 %)", das "Kleinbürgertum" nannte er "Proletaroide 12,65 %". Die
"Unterschicht, das Proletariat" machte nach ihm 50,71 % der Bevölkerung aus.
17 Die
neuen Mittelschichten, denen seine besondere Aufmerksamkeit galt, waren also fast
auf die Hälfte der Erwerbstätigen bzw. -fähigen angewachsen. Auf die Tatsache, dass
diese Entwicklung von Seiten der Arbeiterparteien systematisch ignoriert wurde, und
deshalb Optionen für diese Schichten integrierendes politisches Handeln sträflich
vernachlässigt wurden, kann ich heute nicht eingehen.
18
Geigers Beobachtungen der politischen Verhältnisse im Reich und insbesondere vor
seiner Haustür in Braunschweig mündeten in einem Exkurs mit der Überschrift "Die
Mittelstände im Zeichen des Nationalsozialismus". "Kurzum: wo die Frage nach der
gegenwärtigen sozialen Schichtung des deutschen Volkes aufgeworfen wird, richtet
sich heute mit Grund das Hauptinteresse nicht mehr nach links, sondern auf die Mitte.
Das Problem des sogenannten Mittelstandes ist aber gegenwärtig untrennbar mit dem
Problem des Nationalsozialismus verquickt."
19 Und er suchte nach Gründen:
"Vor 50, 60 Jahren noch ausschlaggebende Macht in der damaligen Gesellschaft, ist
der Mittelstand der gewerblich Selbständigen der Zahl nach und noch viel mehr in
seiner gesellschaftsdynamischen Bedeutung abgefallen. Diese Geltungseinbuße
scheint mir - bewusstermaßen oder im psychischen Untergrund - sehr viel mehr als
die wirtschaftliche Bedrängnis die nervöse Gereiztheit des Besitzmittelstands zu
motivieren. Der relative Schwund seines sozialen Gewichts und Prestiges drückt den
werbenden Mittelstand gar sehr und lässt ihn seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten
noch schwärzer sehen, als sie sind. ... Die allgemeine wirtschaftliche Existenznot aller
Volksschichten trifft bei ihm mit dem seit langem hoffnungslos getragenen Schmerz
über den Verlust seiner gesellschaftlichen Position zusammen."
20
Geiger fasst zusammen: "Je heftiger das mittlere und kleine Eigentum bedroht ist -
durch Wirtschaftskrisis oder dadurch, dass die Expansion des Großkapitals den
Kleinbesitz an Produktionsmitteln in der Hand des Eigentümers entwertet - desto
eifersüchtiger und fanatischer wird der Eigentumsgedanke verteidigt."
21
Diese mittleren Schichten fanden es abstoßend, weil bedrohlich, dass die
Arbeiterschaft ihren Teilhabeanspruch am sozialen und politischen Leben
selbstbewusst einforderte. Zwar war ihre klein- oder mittelständische Konkurrenz
unbehaglich und lästig - zählen Sie mal im Einwohnerbuch nach, wie viele Schneider,
Schuster oder andere Kleingewerbetreibende sich hier Konkurrenz machten - doch
fühlten sie sich sozusagen schicksalsmäßig verbunden. Nach oben waren sie wie nach
unten von Vorurteilen und Ängsten befallen. Man fühlte sich der kapitalkräftigen
Konkurrenz ausgeliefert.
Indem die Nationalsozialisten dieser Konkurrenz massiv und ununterbrochen das
Gesicht der Juden, insbesondere des so genannten Handels- und Finanzjuden
überstreiften, erhielt der Kleinbürger einen imaginierten Feind, den er für sein eigenes
Konkurrenzversagen verantwortlich machen konnte.
Die Stadt (im Landkreis sah es etwas anders aus) Goslar fiel vom ermittelten
reichsweiten Sozialprofil ziemlich ab. Nach den mir bekannten Daten war der Anteil
der Arbeiterschaft geringer, der der Selbständigen, Angestellten und Beamten höher
als im Reichsdurchschnitt. Nimmt man Oker mit seiner proletarischen Mehrheit hinzu,
erhält man andere Verhältnisse. Doch Oker war kein Bestandteil des Politik- und
Verwaltungsbezirks, es gehörte zudem zum Land Braunschweig. Doch die objektiven
Lebensverhältnisse - und das ist die entscheidende Aussage von Geiger, die mit
anderen zeitgenössischen Untersuchungen etwa des Instituts für Sozialforschung
übereinstimmt, - sagen über die Vorstellungen der Mittelklassenangehörigen von sich
selbst, also über ihre politischen und lebensweltlichen Einstellungen und
Verhaltensmuster wenig aus. Diese Einstellungen - und das gilt es sich immer wieder
zu vergegenwärtigen - hatten wenig bis gar nichts mit unmittelbarer, irgendwie
messbarer sozialer Wirklichkeit zu tun.
In Goslar gab es beispielsweise kein aufmüpfiges, geschweige denn revolutionäres
Proletariat. Gediegene bürgerlich-republikanische Sozialdemokraten hatten bei einem
Wählerstimmenanteil um die 30 Prozent seit der Revolution in städtischen
Angelegenheiten fruchtbare Zusammenarbeit mit den verschiedenen in
Partikularinteressen zersplitterten Mittelschichten geübt. In den großen Bergbaukrisen
der 20er Jahre und auch 1931 standen die Einwohner der Stadt ziemlich einheitlich um
Lösungen bemüht hinter ihrem Magistrat, in dem auch der Sozialdemokrat Söffge saß.
Die jüdischen Goslarer galten als Mitbürger, soweit wir das aus den Quellen und
entsprechenden Monografien beurteilen können. Jüdische Kurgäste mieden Goslar
weitgehend, weil sie um die antisemitische Tourismuspolitik des einflussreichen
Hotelbesitzers und Verbandsfunktionärs Heinrich Pieper wussten. Dramatisch zu
nennende Folgen der Wirtschaftskrise waren in Goslar nicht auszumachen. Weder gab
es haufenweise Konkurse noch Massenentlassungen. Denn die klugen und energischen
Krisenintervention der republikanischen Stadtführung unter Bürgermeister Klinge
konnten etwa die Schließungsabsichten des Rammelsbergs durch die Unterharzer
Berg- und Hüttenwerke abmildern. Anders als etwa in der Nachbarstadt Bad Harzburg
hatte die Verwaltung den städtischen Haushalt einigermaßen in Griff, brach hier nicht
eine Hausbank zusammen, riss wie dort ein dramatischer Einbruch des
Fremdenverkehrs keine Löcher in die Kassen von Betrieben und Stadtkasse.
Nationalsozialistische Kommunalpolitik konnte keine Alternative anbieten, sie hielt
keinerlei konstruktive Vorschläge bereit. Im Nachbarort profilierte sich der NSDAPFraktionsvorsitzende
und spätere Bürgermeister Hermann Berndt neben seinen
üblichen Parteitiraden lokalpolitisch mit Attacken gegen die Stadtführung, indem er
konkrete Sparkursvorhaben unterbreitete. Solch kommunalpolitischer Kurs war
zumindest diskussionswürdig. Von ähnlicher Sachpolitik seitens der
Nationalsozialisten konnte in Goslar nicht die Rede sein. Unter Führung des späteren
NS-Bürgermeisters Droste bestand ihr Handeln aus kleinteiliger Meckerei und
Obstruktionspolitik. Noch nicht einmal lokale Demagogen und Parteieinpeitscher gab
es in ihren Reihen.
Geiger charakterisierte die allgemeine politische Lage in den Mittelschichten: "Ein
Bürgertum, das seine weltanschauliche Orientierung, Erbgut der 48er und 70er Jahre,
in Interessensängsten verloren hatte, das in positiv wirtschaftsbestimmtem
Sozialdenken seine Einheit nicht finden konnte, warf sich der eignen Verzweiflung in
die Arme", und damit in die der NSDAP.
22 "Wichtig ist jetzt allein: gegen den
bestehenden Staat, nicht für ein neues Deutschland ist er (der Zorn der Hakenkreuzler,
P.S.) entflammt."
23 Dies Urteil, 1930/31 gefällt, traf für Goslar nach dem Tag von
Harzburg zu. Die Mehrheit der Goslarer Wahlbevölkerung lief mit Hurra zu den
Hakenkreuzfahnen über, ohne dass jemand handfeste, rational erfassbare Gründe
ausmachen könnte. Das Einreihen in die Phalanx der "Negation", wie Hannah Arendt
einen Kern der NS-Bewegung einmal charakterisierte, war Motiv genug.
Nun kam diese Haltung allerdings nicht von ungefähr. Es gab hier zwar keine
traditionell starke parteipolitisch ausgerichtete kommunal organisierte Bewegung des
Antirepublikanismus oder des Nationalsozialismus. Weder DNVP oder Stahlhelm
noch NSDAP konnten als organisierte Kräfte maßgeblich das politische Leben
prägen. Die Mittelschichten hingen drei, manchmal vier Wahlorganisationen
ökonomischer Partikularinteressen an.
Das war etwa in einer anderen Nachbarstadt, in Wernigerode, ganz anders. Dort hatten
Stahlhelm und DNVP eine rührige Anhängerschaft, die Wernigeröder Zeitung leistete
sich etwa regelmäßig redaktionelle Beilagen unter dem Titel "Der Frontkämpfer.
Sonderbeilage für den Stahlhelm und sämtliche sonstigen vaterländischen Verbände
der nationalen Front". Die NSDAP unter ihrem Anführer Alfred Böttcher, einem Arzt
und antisemitischen Demagogen besonderer Güte, entwickelte sich nach Rückschlägen
1925/26 schnell zu einer mitgliederstarken Randaletruppe, die mit ihrem Parteibüro
mitten im Stadtzentrum am Markt viel Aufhebens machte. Man stritt sich mit den
Stahlhelmern ebenso vehement wie mit Sozialdemokraten, lokal rekrutierte SAVerbände
demonstrierten Herrschaftswillen auf den Straßen.
Nichts bis wenig von alledem in Goslar. Trotz mancher Provokation und
martialischem Auftritt kann das Erscheinungsbild der lokalen Partei kaum die
Anziehungskraft der Hitlerbewegung erklären. Das war nach meiner Beobachtung
auch gar nicht nötig. Denn Teile der einheimischen Eliten - gerade die sprach- und
meinungsmächtigsten - organisierten sich und ihr Umfeld selbstreferenziell, wie man
heute sagen würde. Ihr kulturell-ideologisches Selbstverständnis war Nährboden und
Motor akkumulierender geistiger Verwahrlosung, die in politische Handlungsmacht
zugunsten des "Behemoth"
24 mündete. Zur kulturell-intellektuellen Elite in einer
norddeutschen Kleinstadt zählten Redakteure, Schullehrer, manch Richter und Anwalt
und die Pastoren der ev.-luth. Kirchengemeinden.
25
Zur sich selbst im antidemokratischen Radikalismus befeuernden einheimischen Elite
müssen hier einige Stichworte genügen. Ich habe diesen Prozess anderswo ausführlich
geschildert. Der so genannte Goslarer Schulkampf anlässlich der Verfassungsfeiern
1929 kann als ein turning point bezeichnet werden. Gymnasialschüler protestierten
beim Sportfest demonstrativ gegen die Farben der Republik und schmückten sich
demonstrativ mit schwarz-weiß-rot. Die preußischen Kultusbehörde in Berlin drängte
auf Sanktionen, das einheimische Bürgertum empörte sich über den
Selbstbehauptungswillen der Republik und den Anspruch des reformerischen
Kultusminister Becker, die Schulen zu Erziehungseinrichtungen im Geist der
Aufklärung zu formen.
26 Den Republikgegnern in der Stadt bot sich im Laufe der
Auseinandersetzung ein Forum für ihre nationalistisch-revanchistisch
republikfeindliche Propaganda. Die NSDAP, ein eigentlich unbedeutender Haufen,
verstand es, sich zum Sprachrohr der "Empörten" aufzuschwingen, indem sie den
staatlichen Organen und ihren lokalen Repräsentanten Legitimation und Autorität
absprach. Die selbstüberhebende Ermächtigung, im Interesse der "nationalen Sache"
aktiv zu handeln, trug der NSDAP Anerkennung von Seiten des sich als
deutschnational bezeichnenden Bürgertums, inklusive der Zeitung und
meinungsstarker Lehrer zu. Selbst in Autoritätshörigkeit gefangen imponierte ihm die
flegelhafte und auftrumpfende Aufmüpfigkeit, mit der die Parteisoldaten auftraten.
Im Zuge der weiteren Auseinandersetzungen um das so genannte Volksbegehren
gegen den Young-Plan in der zweiten Hälfte 1929 und dem Versuch, 1931 per
Volksabstimmung den Preußischen Landtag aufzulösen, um Preußen von den Roten zu
befreien, wie es im Aufruf vom 11. Mai 1931 hieß, fühlten sich die im Streit mit der
Republik erhitzten und verhärteten Gemüter der nationalistischen Rechten zunehmend
den Nationalsozialisten verbunden. Die Ergebnisse der Reichspräsidentenwahl vom
Frühjahr 1932 hatte ich erwähnt.
Resümieren wir mit weiteren Zeitgenossen diesen Prozess. Carl v. Ossietzky schrieb in
seiner Zeitschrift "Weltbühne" im Januar 1933 mit dem Titel Wintermärchen
27:
"Die Hitlerpartei betont gern ihre Andersartigkeit, und sie darf in der Tat nicht mit
hergebrachten Normen gemessen werden. ... Die Nationalsozialistische Partei hat für
fünfzehn Millionen Deutsche genau das erfüllt, was sie sich unter einer politischen
Partei vorgestellt haben. Niemals ist das deutsche Bürgertum in einem Säkulum so
ehrlich gegen sich gewesen wie in diesen paar Jahren nationalsozialistischen
Wachstums. Da gab es nicht mehr intellektuellen Aufputz, nicht mehr geistige
Ansprüche, nicht mehr akademische Fassade reicherer Jahrzehnte. Der ökonomische
Zusammenbruch hat die innere Rohheit, die plumpe Geistfeindlichkeit, die harte
Machtgier bürgerlicher Schichten - Eigenschaften, die sich sonst halb anonym hielten
oder in private Sphäre ableiteten - offen bloß gelegt."
28
Und Sebastian Haffner fragte wenig später, wie konnte es sein, dass eine Mehrheit im
Frühjahr 1933 plötzlich "verschwunden" war, eine Mehrheit, die doch wusste, was mit
Hitler bevor stand. "Was ist mit Ihnen? Gehören sie wirklich zu diesem Irrenhaus?
Merken sie nicht, was mit ihnen geschieht - und was in ihrem Namen geschieht?
Billigen sie es etwa gar? Was sind das für Leute? Was sollen wir von ihnen halten?
Tatsächlich stecken hinter diesen Unerklärlichkeiten sonderbare seelische Vorgänge
und Erfahrungen - höchst seltsame, höchst enthüllende Vorgänge, deren historische
Auswirkungen noch nicht abzusehen sind."
29
Wie konnten so viele in ganz kurzer Zeit Moral und Anstand, Bürgerdisziplin und
nachbarliche Empathie ablegen, sich in Massenhysterie suhlen, in Aggressivität
austoben und in Machtgehabe ergötzen? Wie konnte schier eschatologische
Heilserwartung, jeder Ratio und überliefertem gesunden Menschenverstand
entbehrende Verve niedere Kräfte und Instinkte in Wort und Tat freisetzen, die sich
gegen Nachbarn, Mitbürger und Kollegen in widerwärtiger Weise austobten?
Rufen Sie sich die Sätze von Otto Gillen in Erinnerung, Sätze voll verklärendem
völkisch-nationalen, radikal antidemokratischem Pathos, Sätze die die gewalttätige
Selbstermächtigung der "nationalen Leidenschaft" zur Durchsetzung von
Partikularinteressen gegen "Volksfremde" formulierten. Sie können die zitierten
Zeilen Gillens stellvertretend für die schier unendliche Menge gedruckter Worte zur
NS-geistigen Aufrüstung der Stadtbevölkerung durch die Zeitung nehmen. Von
unerschöpflicher Sendungsemphase getrieben formten Schriftleitung und Redakteure
ihre Zeitung zu einem antirepublikanischen Kampfblatt, das in seiner ideologischen
Ausrichtung den NS-Parteiblättern voranging.
Lassen Sie mich mit der Wiederholung eines zentralen Satzes aus dem vorhin zitierten
Kommentar von Otto Gillen allmählich zum Ende kommen: "Wohin man sah, überall
begegnetet man siegesfrohen und hart entschlossenen Gesichtern, Gesichtern, denen
man es ansah, dass es diesen Menschen ernst ist, um die Gestaltung der deutschen
Geschichte, ... Das Volk selbst, das zu Tausenden die Straßen und Plätze füllt, hatte
sie vorbereitet und vollzogen."
Sowieso gleich das ganze Volk repräsentierend sah sich das Goslarer
Bildungsbürgertum - ob man Liberale und Demokraten ausnehmen kann ist die Frage
- prinzipiell gern als Aktivposten von 1000-jähriger Reichsgeschichte, die in den
Mauern der Stadt als Relikte präsent waren. Geschichte hatte hier nicht nur eine
Identität vermittelnde Wirkung, sie hatte heroischen Klang und verlangte nach
heldischer Zukunft.
Wie ernst diese Volks-Bürger die Gestaltung deutscher Geschichte, für die sie
Gestaltungslizenz beanspruchten, nahmen, erfuhr im Frühjahr 1933 der
sozialdemokratische Stadtsyndikus Wandschneider, als er ebenso wie der Redakteur
der Harzer Volkszeitung Pasch aus der Stadt gejagt wurde. Aktive Geschichtsgestalter
schlugen den republikanische Polizeioffizier Ostheeren der brutal zusammen.
Deutsche Geschichtskultur wurde gefeiert, als der Sozialdemokrat Söffge und der
jüdische Kaufmann Hochberg im Mai 1933 auf einem Fleischerkarren, einer
mittelalterlichen Prangerprozession gleich, durch die Stadt gezerrt wurden. Zur
Gestaltung von zukünftiger Geschichte gehörten die gewaltsame Eroberung des
Gewerkschaftshauses und die Einlieferung von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern
und Kommunisten in Schutzhaft und ins Konzentrationslager. Die Boykott- und
Drangsalierungsaktionen gegen jüdische Mitbürger am 1. April 1933, eigentlich
Parteiangelegenheiten, fanden in Goslar unter Leitung eines bürgerlichen
"Aktionsausschusses zur Abwehr der Judenhetze" statt. Ihm gehörten die führenden
Mitglieder das "NS-Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand" an, alles mehr
oder minder gestandene einheimische Handwerker und Kaufleute. Das von Hannah
Arendt gegeißelte Bündnis von "Mob und Elite" war hergestellt.
Ein Jahr nach diesen Volkstaten der NS-Bürger-Bewegung in Goslar resümierte der
Vorsitzende des "Kampfbundes für deutsche Kultur", Redakteur Otto Gillen:
"Um die Entwicklung der Ereignisse in ihrem tieferen Kern verstehen zu können, ist es
daher unerlässlich, sich vorurteilslos, aber ohne falsche Rücksichten mit der
Judenfrage zu beschäftigen. Erst durch die Erkenntnis des Fremdrassigen kommen wir
zum vollen Bewusstsein unseres eigenen Wesens und Wollens. Wenn wir uns klar
darüber sind, was wir abzulehnen haben, wissen wir um so deutlicher, was wir mit
ganzem Herzen suchen und fördern müssen ... Darum war es ein Akt der Notwehr,
wenn das deutsche Volk durch den Nationalsozialismus das Judentum aus allen den
Stellen beseitigte, die für unser öffentliches Leben von entscheidender Bedeutung sind.
Durch gesetzliche Maßnahmen ist das Notwendige getan worden, und niemand auf der
Welt hat das Recht, dem deutschen Volk zu verbieten, Ordnung und Sauberkeit in
seinem eigenen Haus zu schaffen. Es geht schließlich um uns, unsere Kultur, unsere
Kinder und unsere Zukunft. Aber es möge niemand glauben, dass mit den gesetzlichen
Maßnahmen alles getan sei, und man nun die Judenfrage als gelöst betrachten kann.
Die Zurückdrängung des jüdischen Einflusses erfordert von uns doppelte Anspannung
aller Kräfte, höchste Selbstdisziplin, gläubigen Aufbauwillen und
verantwortungsbewusste kulturelle Tat. Auf dem Trümmerfeld, das uns die
judenfreundliche November-Republik hinterlassen hat, gilt es nun ein neues,
artbewusstes und volksverbundenes Kulturleben aufzubauen, wie es allenthalben mit
der dem Nationalsozialismus eigenen Sicherheit kraftvoll in die Wege gesetzt ist."
30
Thomas Mann hatte 1930 von notwendiger "demokratischer Moralität" gesprochen,
"Geistfreundlichkeit" in der Praxis angemahnt, die Achtung der Menschenwürde
eingefordert.
Die NS-Volksgemeinschaft der ehemaligen Bürger strebte auch in Goslar mit
fliegenden Fahnen der "artbewussten" Barbarei entgegen.
------------------
- Lutz Raphael 2012: Imperiale Gewwalt und mobilisierte Nation. Europa 1914-1945.
München (C.H. Beck, S.
212.
- Ebenda, S, 212-213.
- Alfred Rosenberg 1972 (13): Geschichte der Weimarer Republik, Frankfurt a. Main (EVA) S. 171. Nach
seinem 1928 veröffentlichten Buch Die Entstehung der Deutschen Republik 1971-1918 erschien die Geschichte
der Deutschen Republik im Exil 1935 in Karlsbad. Beide Bände wurden 1955 bzw. 1961 von Kurt Kersten neu
herausgegeben.
-
- Margaret Donovan 2004: Politische Verantwortung in "interessierten Zeiten", in: Meints/Klinger a.a.O., S.69.
- Peter Schyga 1999: Goslar 1918-1945 Von der nationalen Stadt zur Reichsbauernstadt des
Nationalsozialismus, Bielefeld. Ders. 2006."Es gilt diesen Pestherd in allen Winkel Europas auszurotten. Die
Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 in Goslar, Spuren Harzer Zeitgeschichte Heft 1 (Hg. Verein
Spurensuche Goslar), Clausthal-Zellerfeld. Ders. 2009: Kirche in der NS-Volksgemeinschaft -
Selbstbehauptung, Anpassung und Selbstaufgabe. Die ev.-luth. Gemeinden in Goslar, der Reichsbauernstadt des
Nationalsozialismus. Hg. v. Helmut Liersch im Auftrag der Propstei Goslar, Hannover.
- Thomas Mann, 1930: Deutsche Ansprache. Ein Appell an die Vernunft, gehalten am 17. Oktober 1930 im
Beethovensaal zu Berlin in: Th. Mann Werke Bd. 3 Reden und Aufsätze, Frankfurt a. Main 1990, S. 879-890
- Ebenda S.884
- Ebenda S.889-890
- Die Reden wurden in der GZ abgedruckt. Sie sind auf www.harzburger-front.de dokumentiert.
- Goslarsche Zeitung v. 12. 10. 1931.
- Ich verweise hier auf das Projekt Frauenorte Niedersachsen des Landesfrauenrates Niedersachsen e.V. "Auf
Kathinkas Spuren in Goslar" zu forschen.
- Frank Heine 1998: Der nationale Kandidat heißt Hitler. Die Goslarsche Zeitung und der Aufstieg der NSDAP
1928 bis 1933. Bielefeld.
- Lieselotte Krull 1982: Wahlen und Wahlverhalten in Goslar während der Weimarer Republik. Goslar.
- Theodor Geiger 1930: Panik im Mittelstand. In: Die Arbeit. Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
55, S.637-654, 641,646
- Theodor Geiger 1932: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziografischer Versuch auf statistischer
Grundlage, Stuttgart. Faksimilenachdruck 1987 Stuttgart (Ferdinand Enke Verlag).
- So neu war diese Differenzierung nicht. Der ganze "Revisionismusstreit" um Eduard Bernstein in der SPD
drehte sich um die Veränderung der Klassenverhältnisse, um die Tatsache, dass sich eine Mittelklasse
herausbildete, auf die die Arbeiterpartei zuzugehen hätte. Geiger lieferte hier die Daten für eine gesellschaftliche
Entwicklung, die gerade von den Arbeiterparteien ignoriert wurde.
- Seit dem "Revisionismusstreit" der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts stand dieses Thema eigentlich auf der
Tagesordnung der SPD. Doch ihr "revolutionärer Attentismus" (D.Groh), ihre spätere Politik der
arbeitermilieuformierten Abkapselung bei gleichzeitigen Zugeständnisse an die Unternehmerverbände machte
diese Partei - bis auf wenige Widersprecher in den eigenen Reihen - blind für den dramatischen
21
gesellschaftlichen Wandel. Vgl. dazu meinen Vortrag zu Heinrich Jaspers v. 23.3.2011 in Bad Harzburg; pdf auf
www.kliopes.de
- Geiger 1932/1987 a.a.O., S. 109.
- Geiger 1932/1987 a.a.O., S. 89,88.
- Ebenda S.110
- Ebenda S. 121
- Ebenda S.117
- Nach diesem Ungeheuer aus der der jüdischen Eschatologie benannte Franz Neumann seine bahnbrechende,
heute immer noch wegweisende, leider zu oft ignorierte Analyse des Nationalsozialismus. Behemoth Ausdruck
von: Ein Unstaat, ein Chaos, ein Zustand der absoluten Gesetz- und Rechtlosigkeit. Franz Neumann 1984
(1977): Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944. Herausgegeben, übersetzt
(zusammen mit Hedda Wagner) und mit einem ausführlichen Nachwort von Gert Schäfer, Frankfurt a. Main.
Das Original ist 1942 bei Octagon Books New Yorkerschienen und 1944 erweitert worden.
- Vgl. detailliert und ausführlich zum Verhalten der Pastoren und ihren Gemeinden: Schyga 2009. Die
weitgehende Akzeptanz bis Unterstützung (Pastor Holtermann war SA-Mitglied) der NS-Bewegung wich bald
einer zunehmenden Skepsis bis hin zu Ablehnung und widerständigen Handlungen. An erster Stelle Pastor
Holtermann.
- Ausführlich in Schyga 1999, Kapitel 4.1.
- Die Weltbühne, 29. Jg. v. 3. Januar 1933 S. 3-4.
- Diese Worte stammen aus der Feder von Carl v. Ossietzky kurz nachdem ihn die Republik aus dem Kerker, in
den sie ihn wegen Enthüllungen über die Reichswehr für 18 Monate eingesperrt hatte, entlassen hatte. Wenige
Wochen später wurde er von den NS-Machthabern ins KZ verbracht. Er starb 1938 an den Folgen der erlittenen
Haft.
- Sebastian Haffner 2000 (5): Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914-1933, Stuttgart/München,
S.173.
- GZ v. 19.4.1934
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