- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Historisches Forschungsprojekt:
Goslar in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1953)
KLIOpes zeithistorische Forschung und Publikation Dr. phil. Peter Schyga
Geschichte soll nicht das
Gedächtnis beschweren, sondern
den Verstand erhellen.
G. E. Lessing
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Vorbemerkung:
In Rahmen meines Vortrags am 29. Jan. 2014 in Goslar (nachzulesen auf
www.kliopes.de und
hier) hatte ich bemerkt, dass das Geschichtskapitel zur Nachkriegszeit in Goslar noch sehr im Dunkeln liegt.
Damit steht die Stadt nicht allein: Es gibt kaum qualifizierte gesellschaftsgeschichtliche Lokal- bzw. Regionalforschung über die Zeit nach 1945. Allgemeine Darstellungen, Untersuchungen zur Wirtschafts- und Politikgeschichte, Forschungen zu spezifischen Fragen im Rahmen der Debatten über die Nachkriegszeit und die NS-Vergangenheitsbearbeitung liegen dagegen zahlreich vor. Die diversen Gründe für diesen Tatbestand sollen hier nicht erörtert werden. Nur eine Überlegung sei genannt:
Ein Grund ist gewiss die enorme Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes Stadtgesellschaft nach 1945. Die ergibt sich unter anderem daraus, dass die Periode des Aufbruchs in die Freiheit zugleich eine Zeit der Bearbeitung bzw. Nichtbearbeitung einer damals schwer begreifbaren - für das Individuum und die Kollektive - Vergangenheit ist:
Eine Zeit des Neubeginns, mancher Brüche und - retrospektiv verblüffender, zeitgenössisch
als selbstverständlich wahrgenommener - Kontinuitäten.
Das totalitäre Regime hatte ja nicht nur die absolute politische Kontrolle inne, nicht nur ein
terroristisches Gewaltmonopol exekutiert, es war in alle Poren des Öffentlichen und Privaten eingedrungen - und die Menschen hatten mit all dem gelebt. Nicht unbedeutende Teile hatten profitiert, viele Volksgenossen und Volksgenossinnen hatten an das Regime und seine Herrschaftsverheißungen geglaubt, hatten, ob gebildet oder nicht, die obskursten Geschichts- und Lebensdeutungen nachgeplappert oder sogar dran geglaubt, hatten antisemitischen und anderen Rassismus aufgesogen und praktiziert.
Da gleichzeitig die christlich-abendländische Kultur sowenig wie Werte und Moral der Aufklärung in den zwölf Jahren NS-Herrschaft einfach zu tilgen waren, wussten viele Menschen - manche sehr bewusst, andere eher untergründig - vor diesem menschheitsgeschichtlichen Hintergrund im Angesicht des gefühlten "Untergangs" (J. Fest) um die Widersprüchlichkeiten ihrer Existenz. Diese Zerrissenheiten drückten sich im Denken und Handeln der Deutschen in der Nachkriegszeit aus.
Bei der Betrachtung und Analyse des politischen und sozialen Handelns der Nachkriegsgesellschaft im kleinen städtischen Raum, wo Nähe zum anderen ein bedeutsames Kennzeichen ist, gilt es diese Widersprüchlichkeiten im Auge zu behalten. Sie bilden quasi die Folie, unter der sich empirische Forschung zu Aussagen entwickelt.
I. Inhaltliche Dimension des Projekts
Vor diesem Hintergrund seien hier zentrale Fragestellungen angerissen. Sie bilden die
Eckpfeiler für konkrete Forschungen vor Ort. Sie sind so gewählt, dass ihre Behandlung zu bewältigen ist und zugleich einen erzählenden Blick auf diese Zeit erlaubt, der analytische Qualität hat und damit Erkenntnisgewinn bietet.
Quasi auf einer Metaebene steht über allem die Frage:
Wie transformiert sich die örtliche NS-Volksgemeinschaft eines totalitären Regimes in eine Gesellschaft der Freiheit, Demokratie und sozialen Gerechtigkeit, wie sie das Grundgesetz dann 1949 formuliert? Und anders und konkreter formuliert: wie geht eine Stadtbürgerschaft ab dem Frühjahr 1945 mit Schuld und Verantwortung, mit Tätern und Opfern, mit zugefügtem und erlittenem Leid, mit Charakterlosigkeit und Rückgrat, mit Scham und ignoranter Überheblichkeit, alles Dinge, die sich in konkreten lebendigen Mit-Menschen manifestieren, um?
Diese Ebenen im Blick behaltend sind folgende Elemente für eine spezifische Untersuchung grundlegend:
- Erfassung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zustände der Stadtgemeinschaft in den letzten Kriegsmonaten.
Dies ist deshalb von Belang, weil sich schon spätestens seit Herbst 1944 massive Veränderungen innerhalb der städtischen Kriegsgemeinschaft ergeben, die einen Gutteil der Probleme - aber auch Lösungsmöglichkeiten - der Zeit nach dem 10. April 1945 ausmachten. Stichworte: Versorgungsschwierigkeiten auf allen Ebenen, Evakuierte/Flüchtlinge und - Angst! Die städtische Staatsmacht wird noch repressiver und tönender, doch ihre Macht wankt. Die Gemeinschaft zeigt Auflösungserscheinungen, organisiert sich aber individuell und in Gruppen informell um.
- Der 10.April und 8. Mai 1945: Eine totalitäre Macht, zerschlagen von alliierten Truppen, löst sich im örtlichen Bereich einfach auf - jedenfalls scheint es so.
Der allgemeine Wahrnehmungshorizont dieser Ereignisse - formuliert in den Begriffen Befreiung oder Niederlage, die gar nicht so antagonistisch sind wie gemeinhin angenommen -, stellt sich im Lokalen als erheblich komplexer heraus. Diese Komplexität stellt sich für die Bewohner jedoch in zwei ganz elementaren Problemen einfacher dar:
-
Wer sorgt für das tägliche Überleben, wer füllt das politische Vakuum?
Ersteres wurde schon geübt, Zweites übernehmen erst einmal die Briten, ab Juni die Amerikaner in Kontakt und mithilfe einheimischer, ihnen vertrauenswürdig erscheinender Personen. Die Stadt hat eine neue politische Führung, deren zentrale Aufgaben bestehen in:
- der Organisierung von Ernährung und Arbeit, Transport, Unterkunft (dies angesichts der zu tausenden strömenden Flüchtlinge),
- dem Erhalt und Wiederaufbau sozialer und kultureller Infrastruktur,
- der Schaffung von neuen Kommunikation- und Informationskanälen neben und unter den alliierten Kommandostrukturen,
- der Bereitstellung der Bedingungen für ein neues politisches und kulturelles Leben.
In diesen objektiven Handlungszusammenhängen sind Kernpunkte politisch-sozialer Strategien und Ideologien der Nachkriegszeit zu befragen:
- Wie stellen sich die deutschen politischen, ökonomischen und kulturellen Kräfte sowie Interessensgruppierungen, sortiert nach Parteipräferenzen der Weimarer Zeit, dar? Was sind ihre zentralen Äußerungen und Handlungen? Wie ändern sich die politischen Kräfteverhältnisse seit den ersten Wahlen?
- Welche neuen Führungspersönlichkeiten kristallisieren sich heraus? Wo kommen sie her, was qualifiziert sie? Wie verhalten sich Teile der alten Eliten, die nicht von den Alliierten verfolgt werden?
- Wie gestalten und entwickeln sich die Beziehungen zu regionalen politischen und wirtschaftlichen Instanzen?
- Was geschieht mit den NS-Eliten und den ganz "normalen" NS-Tätern? Wie, wann und ob überhaupt kehren sie zurück in die Stadtgesellschaft, werden aufgenommen oder verstoßen?
- Wie ergeht es den überlebenden NS-Opfern unterschiedlichster Schicksale?
- Wie wird das DP-Problem angegangen?
- Wie sehen die Haltungen (der Behörden und der einheimischen Bevölkerung) gegenüber den Flüchtlingen und später den Vertriebenen aus?
- Welche Rolle spielt der traditionelle Antikommunismus angesichts der geografischen Nähe zur SBZ für die politisch-weltanschauliche Stimmung? Wie entwickelt sich dies später im Kalten Krieg angesichts der Zonengrenze und damit der Teilung der Harzer Heimat?
- Wie geht die Stadtgesellschaft unter Rückgriff auf die Beschwörung ihrer über 1000-jährigen Geschichte mit der Reichsbauernstadt um?
Zusammengefasst: In einer Untersuchung dieser Zeit geht es einmal darum, die qualitative und quantitative Dimension der objektiven Aufgabengebiete und politischen Stimmungen herauszuarbeiten und darzustellen. In diesem Zusammenhang gilt zu erörtern, wie und von wem diese Aufgaben geleistet wurden. Dabei geht es um Institutionen und Personen. Der Untersuchungszeitraum sollte sich bis zum Beginn der 50er Jahre (zweite Bundestagswahl 1953) erstrecken, als sich das alltägliche Leben einigermaßen zu normalisieren begann.
Eingebettet wird diese lokale Untersuchung in einen kurzen Abriss der Geschichte der deutschen und ab 1949 bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.
II. Wie kann solch Programm bewältigt werden?
In meinem Wissen um die Quellenlage, die mir aus früheren Forschungen weitgehend geläufig ist, und Literatur - die erwähne ich hier nicht extra - konkretisiert sich solch Forschungsprogramm in die Bearbeitung folgender Quellen:
a) Die späte Kriegszeit ist von mir erforscht - teilweise auch veröffentlicht. Ich kann darauf
zurückgreifen.
b) Für die Nachkriegszeit, zu der ich kleinere Einzeluntersuchungen angestellt habe, stehen
als Quellen, deren Bearbeitungsdimension ich aufgrund meiner Kenntnisse gut einschätzen kann, prinzipiell zur Verfügung:
1. die Protokolle der Verhandlungen des Magistrats (ab Juni 1945), der Magistratsausschüsse, diverser Ämter, später die Rats- und Ausschussprotokolle. Enthalten sind in diesem Konvolut auch Berichte zur sozialen Lage (Ernährung, Wohnung, Infrastruktur etc.) deutscher und alliierter Stellen,
2. eine Reihe unmittelbar 1945 oder später verfasster "Erlebnisberichte" von Goslarer Zeitgenossen,
3. Berichte zur wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lage des Verw. Bez. Braunschweig. Desgleichen dann später von der Landesebene,
4. dergleichen von Wirtschafts- und anderen Interessenverbänden z. B. Gewerkschaften,
5. Protokolle und Berichte zu den örtlichen Entnazifizierungsverfahren und Prozessunterlagen.
6. verstreute Druckerzeugnisse einiger Verbände, Vereine, Parteien (Flugschriften, Plakate, Sitzungsberichte etc.),
7. Meldungen über Stadt und Landkreis Goslar in der Braunschweiger Zeitung. Ab d. 1. Nov. 1949 auch wieder der GZ,
8. Protokolle, Notizen, Berichte, Persilscheinausstellungen der örtlichen Kirchengemeinden und der Landeskirche,
9. Zeitzeugenbefragungen.
III. Bearbeitung:
Das vorliegende Forschungskonzept ist auf ein wissenschaftlich befriedigendes Ergebnis ausgerichtet, das ich in einem Zeitrahmen von zwei Jahren erbringen kann. Meine Honorarvorstellung bewegt sich im Bereich von etwa 30.000 Euro (brutto) für den genannten Zeitraum.
Steht dieser Betrag aus finanziellen Gründen nicht zur Verfügung, müsste der Untersuchungsgegenstand thematisch eingeschränkt werden. Das scheint eine Frage der Quantität zu sein. Allerdings leidet bei einer Beschränkung der Komplexität der Forschung auch deren Qualität erheblich. Ein Beispiel: Man kann etwa die Quelle der Magistrats- und Ratsprotokolle erfassen, doch ein Erschließen im Sinne eines Begreifens sich dort manifestierenden politischen Handelns - das macht historische Forschung aus - ist ohne ein Verständnis derstadtgesellschaftlichen Verhältnisse, das sich auf die Gesamtheit der verfügbaren Quellen stützen sollte, nicht möglich.
Dennoch könnte man im Sinne eines: "Fangen wir erst einmal an" bei wenigen bestimmten Themenbereichen solche Unterkomplexität für einen Beginn zulassen.
IV. Persönliche Voraussetzungen:
In der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts kenne ich mich gut aus. In diesem Rahmen liegt der Schwerpunkt meiner bisherigen Forschungen auf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Kenntnisse zu Goslar in dieser Zeit sind profund und durch diverse Veröffentlichungen belegt (s. Publikationsverzeichnis zur Zeitgeschichte im Anhang). Das bedeutet: die gesellschaftlichen Verhältnisse sind mir ebenso bekannt, wie mir wesentliche Persönlichkeiten und Institutionen ein Begriff sind. Dies gilt auch für die Gegenwart; ich bin seit 1996 in der Stadt mit ihren Menschen gegenwärtig.
Die für dies Projekt grundlegenden Archivbestände in Goslar, Wolfenbüttel und Hannover
kenne ich ausgezeichnet.
Im Umgang mit Zeitzeugen bin ich durch mehrere Dutzend Gespräche und ihrer Bearbeitung
geübt.
Hannover, 5. Febr. 2014
Dr. Peter Schyga, Badenstedter Str. 24, 30449 Hannover
Tel.: 0511-21 52 14 7; E-Mail:
Peter.Schyga@gmx.de;
www.kliopes.de
Commerzbank Hannover: 25080020 (BLZ);Kontonummer: 800151000; Steuernummer: 26/142/08749
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