- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
20 Jahre Spurensuche Harzregion - Feier im Großen Heiligen Kreuz am 5. November 2018 - Rede Dr. Peter Schyga, Verein Spurensuche Harzregion
Peter Schyga: Rede bei der Veranstaltung 20 Jahre Spurensuche am 5.11.2018 im
Großen Heiligen Kreuz, Goslar
Anrede, OB, Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde.
Im Namen des Vereins Spurensuche Harzregion, bedanke ich mich für Ihr /euer
Kommen, für das Interesse, an unserer Veranstaltung zu 20 Jahre Spurensuche
teilzuhaben, und Ihnen Herr Oberbürgermeister Junk und Ihnen Frank Heine mein
besonderer Dank, hieran aktiv mitzuwirken.
Kurz zum Ablauf des Abends, wie wir ihn uns vorgestellt haben: Herr OB Dr. Junk
wird gleich eine kurze Ansprache halten und Frank Heine danach die Eloge singen -
er hat eine überraschung versprochen, angedroht - wer weiß. Bernd Krage Sieber
wird diesen Sprechteil mit einem Lied beenden und danach sind Sie eingeladen zum
Gespräch bei Knabberkram und Trank - Aufnahmeanträge für unseren Verein liegen
übrigens genug aus.
Sie alle sind es von uns gewohnt, dass wir inhaltlich etwas zu sagen haben, das soll
heute kurz und knapp nicht anders sein: Nur möchte ich erst einmal meinen
Dankmarathon absolvieren, was ich heute übrigens gern tue.
Denn wir hätten kaum einen Grund zu feiern, wenn wir nicht von etlichen
Menschen in dieser Stadt und der Region während all dieser Jahre tatkräftige
Unterstützung, Zuspruch und Aufmunterung erfahren hätten, unseren Weg zu
gehen.
Ohne mit 1., 2., 3. irgendeine Sympathierangfolge uns gegenüber formulieren zu
wollen: Die Hauptabteilung Kultur der Stadt - ich nenne das mal so -, heute
namentlich Christoph Gutmann und sein Team im Museum und mit Herrn Abers im
Archiv, zu Beginn ganz sicher Heidi Roch-Stübler als zäh so manchen Widerstand
zähmende engagierte Frau, alle haben uns die ganzen Jahre solidarisch - auch
kritisch - begleitet. Ich erinnere nur an die erste Ausstellung zur Zwangsarbeit in
Goslar, die wir im Museum zeigen konnten, weitere folgten - und heute dürfen wir
in diesem städtischen Raum unsere kleine Feier abhalten. Herr Albers musste seine
Teilnahme heute leider absagen: ohne Archiv und deren zuvorkommende
Mitarbeiter geht bekanntlich gar nichts in der Geschichtsforschung - mein Dank
dafür.
Die GZ, namentlich die Redakteure Heinz Georg Breuer und Frank Heine haben von
Anfang an mit Interesse und kritischer, manchmal bissiger aber nie - oder habe ich
was verdrängt? - bösartiger Berichterstattung eine öffentlichkeit für unsere Arbeit
hergestellt, ohne die wir kaum hätten so agieren könne, wie wir es taten und tun,
nämlich nicht im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich und dort auch ruhig
kontrovers. Für Ina Seltmann und Werner Beckmann aus der Bad Harzburg
Redaktion gilt das Gleiche.
Mit dem DGB Goslar kooperieren wir von Beginn an. Der Stadtführer zu den Stätten
von Verfolgung und Widerstand im Goslar der NS-Zeit, mehrfach neu aufgelegt, ist
nur ein Zeugnis davon.
Die fruchtbaren Verbindungen zu Personen und Initiativen in der ganzen Region, zu
Seesen, Clausthal, Bad Lauterberg, zur Südharzregion, auch zu Wernigerode und
Umgebung, ganz besonders aber zu Bad Harzburg haben dazu beigetragen, das Bild
von Zeitgeschichte in der Region durch präzise Forschung und engagierte
Vermittlung zu verändern.
Mit Herrn Liersch und seiner Propstei hatten wir vor 10 Jahren in der Marktkirche
gemeinsam eine bedeutende und folgenreiche Ausstellung zur Reichpogromnacht
auf die Beine gestellt, ein paar Jahre später - wieder im Museum - eine Ausstellung
zum Erntedank in Goslar und auf dem Bückeberg. Auch diese hallt in den
gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Einrichtung eines
Dokumentationszentrums auf dem Bückeberg bei Hameln inhaltlich noch nach.
Mit dem Geschichtsverein, von dessen Führung wir lange Zeit als unliebsame und
störende Konkurrenz betrachtet wurden - wer weiß warum auch immer -, arbeiten
wir inzwischen produktiv zusammen. Herr Piegsa hat sich wegen Urlaubs
entschuldigt, der sei ihm herzlich gegönnt.
Wer bei meinem Dank nun wirklichen nicht fehlen darf, sind die Mitglieder von
Spurensuche. Einige sind seit der Gründung aktiv dabei, etliche sind
hinzugekommen und leisten ihren von der öffentlichkeit oft nicht sichtbaren
Beitrag für unsere Arbeit. Alle stehen im Beruf und sind verbandlich oder politisch
anderswo engagiert, finden aber die Kraft bei Spurensuche mitzuwirken. In diesem
Zusammenhang muss ich Friedhart Knolle für seine Abwesenheit heute
entschuldigen. Friedhart ist NGO-mäßig wegen eines Nationalparkprojekts an der
Grenze zwischen Algerien und Tunesien unterwegs.
Und mein besonderer Dank gilt heute einem aktiven Nichtmitglied. Eberhrad
Högerle begleitet uns als professioneller Designer seit Jahren. Ohne ihn wären die
Ausstellung zur Harzburger Front - inklusive Katalog - oder die Bad Harzburger
Geschichtspunkte kaum realisiert worden. Lassen Sie mich hier und heute auch an
unsere verstorbenen Gründungsmitglieder Wolfgang Janz und Renate Ristig
erinnern, die beide dem ersten Vorstand des Jahres 1998 angehörten.
Und - mit bitte um Nachsicht bei allen, die ich nicht explizit erwähnt habe -: ohne
die finanzielle Unterstützung von Spendern und Stiftungen aus der Region - ich
nenne hier stellvertretend die Bad Harzburg Stiftung - hätte gar nichts auf die Beine
gestellt werden können.
Das finanzielle und auch fachliche Engagement der Stiftung niedersächsische
Gedenkstätte muss und will ich herausstellen, insbesondere die Zusammenarbeit
mit Arnold Jürgens und Rolf Keller. Ihnen sei unser Dank für die jahrelange
sachkundige und hilfreiche Unterstützung ausgesprochen.
Wir haben uns 1998 mit einem kleinen Heft unter dem damals ziemlich vermessen
klingenden Titel "Dem Vergessen Einhalt gebieten" der öffentlichkeit mit unseren
Zielen und in Angriff zu nehmenden Aufgaben vorgestellt.
Darin hieß es plakativ: "Es hat im Vorfeld der Vereinsgründung öffentlich Kritik zu
Zielen und Aufgaben des Vereins gegeben. Diese Kritik reichte von produktiver
Skepsis bis zur Leugnung des Geschehenen. Sich der Vergangenheit zu stellen, um
seine Aufgabe als Staatbürger in einem freiheitlichen Rechtssatt in einem
zusammenwachsenden Europa wahrnehmen zu können, halten wir für eine
Selbstverständlichkeit."
Vernehmlich gebrüllt, Stubentiger, könnte man retrospektiv urteilen, und alles wird
gut, wenn die Zeiten politisch nicht nur unübersichtlicher, sondern für den
Charakter unserer Demokratie gefährlicher werden würden. Damals mussten wir
uns mit anderen dem geschichtsvergessenen Spruch: "Was sind schon zwölf Jahre in
der über 1.000 -jährigen Geschichte der Stadt" mit Forschung und im öffentlichen
Streit widersetzen. Ich denke, dass wir über die 20 Jahre damit einiges bewirkt
haben. Und ich denke, dies konnte leidlich gelingen, weil wir quellen- und
wissensgestützte Arbeit an Zeitgeschichte immer als politischen Auftrag verstanden
haben - zumindest haben wir das versucht.
Ich möchte nur ein einziges Beispiel nennen: Wir haben mit großer Unterstützung
und aktiver Beteiligung der örtlichen Bürger*innengesellschaft die Ausstellung zur
Harzburger Front von 1931 in Bad Harzburg und als wanderndes Exponat in vielen
Orten gezeigt. Dort haben wir, ohne uns in Analogien zu verirren, dargestellt, wie
das Bündnis der bürgerlich-nationalen Eliten mit Hitler zur Zerschlagung der
demokratischen Republik geschmiedet wurde.
Ich erinnere mich sehr gut an eine Reaktion von Ludwig Hoffmann, erster und
langjähriger Bürgermeister von Wernigerode nach der Wende, der angesichts der
Erfahrungen mit der NDP in seiner Stadt und im Landkreis die Parallelen von
gewalttätiger Sprache, von Begriffen rassistischer und völkischer Ausgrenzung, der
überheblichen Selbstermächtigung zum Volk gestern und heute betonte.
Gauland war damals noch in der CDU, Höcke blieb mit seinem völkischen
Geschichtsrevisionismus im Klassenzimmer - schlimm genug. Doch heute greift die
historische Ignoranz, massiv und bundesweit Jahrzehnte erarbeiteter
bundesdeutscher Erinnerungskultur und -politik an, pöbelt respektlos gegen Wissen
und Argument, schwadroniert von "deutschem Soldatenstolz" und preist deutsche
Leitkultur gegen überfremdung an.
Aleida Assmann hat dazu in ihrer Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises
des deutschen Buchhandels an sie und ihren Mann Jan gesagt:
"Die Nation ist kein Heiliger Gral, der vor Befleckung und Entweihung - Stichwort
Vogelschiss - zu retten ist, sondern ein Verbund von Menschen, die sich auch an
beschämende Episoden ihrer Geschichte erinnern und Verantwortung übernehmen
für die ungeheuren Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden." (zit. n. SZ
v.15.10.2018)
Ausdrücklich bezogen sich beide auf ein Vorgängerpaar: Den Preisträger von 1958
Karl Jaspers und seine Laudatorin Hannah Arendt, die nach dem Zivilisationsbruch
der NS-Zeit um die Humanitas in Politik und Gesellschaft gerungen haben.
Aneignen von Wissen, Schaffung von Erkenntnis, öffentliche und argumentative
Debatte unter der unabweisbaren Prämisse, dass der Mensch das Recht hat,
Mensch zu sein, dass dies Menschenrecht und Menschenwürde ausmacht, die nicht
ein Gran zur Debatte stehen dürfen.
Das ist der Grundsatz, von dem sich Arbeit an Geschichte in einer reflektierenden
und in ihrem demokratischen Selbstverständnis sich immer wieder selbst
verständigenden Gesellschaft leiten lassen muss.
Wir haben das die letzten 20 Jahre versucht und wir sind willens und von
ungebremstem Tatendrang - trotz der im Alter zunehmenden Zipperlein -, dies mit
Ihrer Hilfe und Ihren Interventionen in öffentlicher Debatte fortzusetzen.
So lade ich Sie deshalb am 9. November zum Gedenken und Nachdenken anlässlich
des 80sten Jahrestags der Reichspogromnacht von 1938 um 17 Uhr nach Bad
Harzburg in den Badepark und danach ins Gemeindehaus der Lutherkirche ein.
Vielen Dank.
|
verein ||
spurensuche ||
20 jahre ||
rede ||
peter schyga ||

|| 5098 Mal gelesen, zuletzt am 06.02.2025 um 21:50:07 |