- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 1
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Unbekannte russische Arbeiterin
Bad Lauterberg im Harz
2006
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Politische und demographische Rahmenbedingungen
- Entwicklung des Einsatzes, politische Rahmenbedingungen
- Herkunft, Altersstruktur und Geschlechterverteilung
Arbeitgeber
Rekrutierung
- Rekrutierung im Herkunftsland
- Wanderungen/ Versetzungen innerhalb Deutschlands
- Entlassungen von Kriegsgefangenen in den Zivilarbeiterstatus
Lebensbedingungen
- Unterbringung
- Lebensumstände, Versorgung
- Gesundheitszustand der Ausländer
- Krankenfürsorge
- Todesfälle und Todesursachen
- Familien, Geburten und Eheschließungen
Kontakte zwischen deutscher Bevölkerungn und Ausländern
überwachung und Repression
Zusammenfassung
Anlagen
- Dokumente und Lagepläne
Quellen- und Literaturverzeichnis
Vorwort
Zwangsarbeit, Deportation und Arbeitseinsätze von Kriegsgefangenen sind Themen, welche in den Jahren nach dem "Zweiten Weltkrieg" von vielen Bürgern verdrängt wurden. "Nur nicht daran rühren, es gibt Wichtigeres zu tun" war die Devise dieser Zeit. Aber auch in den Schulen wurde dieses Problemfeld nicht angesprochen. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, daß in den fünfziger Jahren dieses Thema überhaupt im Unterricht behandelt wurde. Die damals noch vorhandenen Rudimente der Barackenlager in Bad Lauterberg/Odertal waren Flüchtlingslager oder Sozialunterkünfte, das was sie vorher waren, Unterkünfte für ausländische Arbeiter und Kriegsgefangene (POWs), wurde nicht erwähnt. Das wußte man, behielt es aber für sich. Heute, nach mehr als 50 Jahren, weiß kaum noch ein Einwohner etwas über diese Zeit und die Menschen, die dort unter teilweise menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten und leben mußten.
Im Archivbestand der Stadt Bad Lauterberg gab es bisher keine zusammenfassende Darstellung über die Zwangsarbeit von ausländischen Arbeitnehmern und alliierten Kriegsgefangenen der Jahre 1939 bis 1946. Die vom Stadtarchiv aufgrund von Anfragen der Landeskoordinierungs-stelle für die Nachweisbeschaffung von Unterlagen für Zwangsarbeiter im HSA Niedersachsen in Hannover im Jahr 2002 initiierte Zusammenfassung der noch vorhandenen Dokumente beruht ausschließlich auf städtischen und kirchlichen Unterlagen. Die historische Aufarbeitung dieses Kapitels der Stadtgeschichte kommt leider 50 Jahre zu spät. Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen und noch weniger Personen, die auch bereit sind, über diese Zeit zu sprechen. Viele Lücken in den Personenstandsdaten konnten nicht geschlossen und standesamtliche, sowie auch kirchliche Daten nicht vorbehaltlos übernommen werden. Die amtlichen und kirchlichen Beurkundungen sind, nach heutigem Verständnis, unvollständig und teilweise nur unter Vorbehalt zu betrachten. Erschwerend kommt hinzu, daß für Bad Lauterberg und die Ortsteile Barbis und Osterhagen nur unvollständige Meldekarteien oder Meldebücher vorhanden sind und für den Ortsteil Bartolfelde die Meldekarteien bzw. Meldebücher für Ausländer fehlen und nicht mehr existent sind.
Die urkundlichen Einträge in die Kirchenbücher der ev.-luth. Kirchen, St. Andreas, St. Petri, St. Bartoldi, und St. Martini, der röm.-kath. Kirche St. Benno, der Friedhofsverwaltungen und dem Standesamt Bad Lauterberg sind vielfach nicht kongruent. Die Namen, Vornamen, Nationalitäten und Lebensdaten weichen in Schreibweise und kalendarischen Größen in vielen Fällen voneinander ab. Als Todeszeugen für den urkundlichen Nachweis im Standesamt wurden z.B. keine wirklichen Todeszeugen angegeben, sondern nur ein Eintrag:
Todesanzeige erstattet die "verantwortliche Pflegerin der Krankenbaracke" oder "der Beerdigungsübernehmer XYZ".
Nach intensiven Gesprächen mit den wenigen noch vorhandenen Zeitzeugen wurde deutlich, daß in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 nur eine Notbesetzung in der Stadtverwaltung tätig war. Der Bürgermeister der Gemeinde war Führer der SS und vielfach mit anderen Aufgaben betraut. Ab 1942/43 war er nicht mehr in der Stadt und wurde von einem Ratsmitglied (Beigeordneten) vertreten. Einige Amtsträger der Partei (NSDAP) waren gleichzeitig in die städtische Verwaltung eingebunden und übernahmen Verwaltungsarbeiten in ganzen Teilbereichen. Aufgrund der Gleichschaltung von Amt und Mandat war es verständlich, daß eine parteilose Verwaltung nicht mehr gegeben war und jeder Verwaltungsakt durch die nationalsozialistische Brille betrachtet wurde.
Die kirchlichen Verwaltungen wurden aufgrund der kritischen Distanz zwischen Kirche und Staat im NS- Regime nicht unbedingt kontaktiert. Daher ist es auch zu erklären, daß z.B. Bestattungen von Zwangsarbeitern und ausländischen Kriegsopfern auf dem kircheneigenen Bergfriedhof von Bad Lauterberg und den anderen Friedhöfen der heutigen Ortsteile stattgefunden haben, ohne Kenntnis der Kirchen- oder der Friedhofsverwaltung.
Einleitung
Diese Abhandlung wurde allein von der Archivgemeinschaft der Stad Bad Lauterberg erstellt, sie hat sich ohne Auftrag dieses Themas angenommen. Befragungen von Zeitzeugen im Rahmen der monatlichen Zusammenkünfte des "Kurhausstammtisches"
1 erbrachten nicht die erhofften Informationen dieser Zeit. Im Verlauf der zweijährigen Recherche konnte dann ein Schattenriss der Arbeit erkannt werden und mit der Zusammenstellung der einzelnen Kapitel begonnen werden. Die Arbeit wurde 2004 in einer ersten Druckversion erstellt. Die Aufbereitung für die Internetveröffentlichung erfolgte 2006.
Die Sichtung des noch verbliebenen Materials ergab, daß es nicht sinnvoll sein würde, das Thema Zwangsarbeit insgesamt zu behandeln, sondern nur einen Teilbereich daraus. Unfreiwillige Arbeit wurde von den unterschiedlichsten Personengruppen während des Zweiten Weltkrieges geleistet. Sie begann bei den deutschen Arbeitnehmern, die aufgrund von Verordnungen und Erlassen zur Arbeit in der Bad Lauterberger Rüstungsindustrie zwangsverpflichtet wurden und endete bei den zwangsverpflichteten ausländischen Zivilarbeitern. Für Ausländer kamen vor allem vier Einsatzmöglichkeiten in Frage
2:
1. die Arbeit als Kriegsgefangener,
2. die Arbeit als Häftling in einem Konzentrationslager,
3. die Arbeit als Angehöriger der Organisation "Todt" (OT), und
4. die Arbeit als sogenannter ausländischer Zivilarbeiter.
Diese Ausarbeitung beschränkt sich, abgesehen von kleinen Anmerkungen, auf die Gruppe der ausländischen Zivilarbeiter und ihrer Familien {4.)}. Auf den Terminus "Zwangsarbeiter" wurde nach Möglichkeit verzichtet, da wie bereits vermerkt auch andere Personengruppen, z.B. deutsche Arbeitnehmer mehr oder weniger großem Zwang bei der Wahl des Arbeitsplatzes ausgesetzt waren. Für die anderen Personengruppen {1. bis 3.} sind im Stadtarchiv Bad Lauterberg keine ausreichenden Archivalien vorhanden um qualifizierte Aussagen machen zu können. Die Quellenlage bei den ausländischen Zivilarbeitern erlaubt allerdings keine lückenlose Dokumentation aller Facetten des Einsatzes dieser Personengruppen in Bad Lauterberg. Sie gestattet aber einen hinreichenden Einblick in die totalitären Strukturen der NS-Arbeitswelt. Da eine genaue Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und freiwilliger Arbeit von ausländischen Arbeitskräften aus der vorhandenen Aktenlage heraus nicht erkennbar ist, wird in der Abhandlung der generalisierende Begriff Zwangsarbeiter vermieden und durch eine neutrale Benennung wie z.B. ausländischer Arbeitnehmer ersetzt. Selbst dieses ist noch problematisch
3, denn Polen und Tschechen waren z.T. Einwohner des Deutschen Reiches oder kamen aus Gebilden, deren staatsrechtlicher Status ihnen nach Ansicht des nationalsozialistischen Regimes keine eigene Staatsangehörigkeit zugestand (Protektorat Böhmen und Mähren oder Generalgouvernement).
Bei den Graphiken und Tabellen werden für die Nationen, die in dieser Arbeit mehr oder weniger angesprochen werden, jeweils die u.a. internationalen Kennbuchstaben eingesetzt. Diese Tabelle wurde noch um die Personenzahl ergänzt, wobei zu bemerken ist, daß diese Personen in Bad Lauterberg von 1939 bis 1945 gemeldet bzw. zeitweilig gemeldet waren.
Tabelle 1
Kennung | Nation | Anzahl der Personen |
A | österreich ?? | 1 Person |
B | Belgien | 415 Personen |
CH | Schweiz | 1 Person |
CZ | Tschechien und Slowakei | 35 Personen |
D/NL | unsichere Nationalität Deutschland/Niederlande | 1 Person |
DK | Dänemark | 1 Person |
EST | Estland | 76 Personen |
F | Frankreich | 308 Personen |
GB | Großbritannien | 14 Personen |
H | Ungarn | 6 Personen |
HR | Kroatien | 43 Personen |
I | Italien | 709 Personen |
LV | Lettland | 3 Personen |
LT | Litauen | 6 Personen |
NL | Niederlande | 141 Personen |
PL | Polen | 400 Personen |
PL/SU/STL | unsichere Nationalität, Polen/ehemalige Sowjetunion/staatenlos | 3 Personen |
RO | Rumänien | 10 Personen |
SLO | Slowenien | 16 Personen |
SU | ehemalige Sowjetunion | 1929 Personen |
YU | ehemaliges Jugoslawien | 23 Personen |
(*) | ungeklärte Nationalität | 22 Personen |
(**) | Volksdeutsche | 66 Personen |
| Summe | 4259 Personen |
Fußnoten
1 Lockere Zusammenkunft von alteingesessenen Bad Lauterberger Bügern zur Pflege von heimatlichen Gegebenheiten und Geschehnissen.
2 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, P. 9.
3 ebd. P. 11.
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