- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 4
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Arbeitgeber
Die neu aufgekommene Diskussion um die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges und um die heutigen Entschädigungen der damaligen Arbeiter hat den Eindruck erweckt, als seien ausländische Arbeiter vornehmlich in Industrie und Bergbau eingesetzt worden. Für Bad Lauterberg stimmt das wohl, es muß aber nicht auf andere Städte oder Gemeinden der Region zutreffen. Landwirtschaft, Handwerk, Städtische- oder Gemeindeverwaltungen, Reichsbahn, Reichsforst, andere staatliche Dienstleistungsunternehmen und privilegierte Haushalte waren ebenfalls Nutzer der ausländischen Arbeitskräfte in Bad Lauterberg.
Leider ist es nicht möglich, aus den Quellen des Stadtarchivs ein umfassendes Bild über alle Arbeitgeber der Stadt zu machen, welche ausländische Arbeitskräfte beschäftigt hatten. Es haben Verlagerungen von Betrieben nach und von Bad Lauterberg stattgefunden. In den Wirtschaftsbereichen Handwerk, Handel und Landwirtschaft waren vielfach saisonale Faktoren bestimmend für den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften. Die vorhandenen Meldedaten enthielten im Regelfall nur den Wohnort und nicht den Arbeitgeber. Daher ist bei den in Kleinstunternehmen tätig gewesenen Zivilarbeitern, eine Zuordnung des Betriebes nicht oder nur eingeschränkt möglich, denn sie waren vielfach in den großen Arbeitslagern der Rüstungsindustrie mit untergebracht. So hat es in der Landwirtschaft Fälle gegeben, daß ein ausländischer Arbeiter für zwei Kleinstbetriebe tätig war, z.B. für eine Molkerei und einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Jegliche Art der Ausleihe von ausländischen Arbeitskräften zwischen Industriebetrieben, Landwirtschaft, Handwerk, Verwaltungen, Reichsbahn, Reichsforst, anderen Dienstleistungsunternehmen und privaten Haushalten wurden bei der Recherche zu dieser Ausarbeitung festgestellt.
Entscheidend war, daß die wirtschaftliche Tätigkeit des Arbeitgebers kriegswichtig war. Die Zuweisung von Fremdarbeitern wurde nach Bedarf vorgenommen, gegebenenfalls mußte die Bedeutung des Einsatzes durch Bestätigung des jeweils zuständigen Rüstungskommandos nachgewiesen werden
23. Der Bedarf war gegeben, wenn unentbehrliche Leistungen wie z.B. die Nahrungsmittelproduktion nach Einberufung deutscher Arbeitnehmer oder des Hofeigners - im Fall der Landwirtschaft - nicht mehr zu erbringen waren, oder dadurch, daß Firmen kriegswichtige Güter herstellten und dazu einen Arbeitskräftebedarf bekamen, der vor dem Krieg nicht bestanden hatte. Der Nutzen, den die Wirtschaft der Stadt aus der Präsenz der Ausländer zog, war also breit gestreut und beschränkte sich nicht nur auf Industrie und Bergbau mit ihren Großunternehmen. In Bad Lauterberg gab es 136 Arbeitgeber
24, die ausländische Arbeitnehmer beschäftigten. Der Kernbereich, die Masse der Arbeitsstellen lag selbstverständlich bei den Industrieunternehmen, gefolgt vom Bergbau und dem Baugewerbe.
Folgende Industrieunternehmen bzw. landwirtschaftliche Betriebe und staatliche Unternehmen hatten zivile ausländische Arbeitskräfte und teilweise auch Kriegsgefangene aus den in Bad Lauterberg eingerichteten Kriegsgefangenenlagern (M.-Kdo. 1117, 1872 und 6241) beschäf-tigt. Die nachstehende Tabelle listet Arbeitgeber der Stadt auf, die während des Krieges zehn oder mehr Ausländer beschäftigt
25 hatten.
Tabelle 2
Arbeitgeber | beschäftigte Ausländer |
Fa. Adler Pinselfabrik GmbH, Lutterstraße | 40 |
Fa. Max Böhme KG Holzwarenfabrik , Lutterstraße | 35 |
Fa. Deutsche Baryt Industrie Dr. Rudolf Alberti, Bahnhofstraße | (81) |
Fa. Albert Haltenhoff, Odertal | 76 |
Fa. Harzer Eisengießerei Gebr. Horre, Zollweg | 13 |
Fa. Hoch Tief AG, Odertal | 207 |
Fa. Carl Grunewald, Betonbau, Baustelle Bad Lauterberg | 15 |
Fa. Königshütte - Hans Ohle KG, Hüttenstraße | 63 |
Fa. Königshütte - Westfälische Maschinenbau Gesellschaft, Hüttenstraße | 72 |
Fa. Franz Kuhlmann, Sebastian Kneipp Promenade | 134 |
Fa. Metallwerk-Odertal GmbH, Odertal | 1898 |
Fa. MIAG Mühlenbau & Industrie AG., Scharzfelderstraße | 206 |
Fa. Mook & Koop, Scharzfelderstraße | 69 |
Fa. Otto Schickert & Co. KG, Odertal | 789 |
Fa. Faserholz GmbH, Göttingen, Odertal | (10) |
Fa. Schmetz, Segelflugzeugbau, Lutterstraße | 13 |
Fa. Wistoba Pinselfabrik Wilhelm Stollberg, Barbis | 18 |
Fa. Bernhard Heckmann, Baustelle Osterhagen | 62 |
Stadtverwaltung Bad Lauterberg, Wissmannstraße | 10 |
Reichsbahn, Bad Lauterberg | 25 |
Domäne Scharzfels, L. Knobloch, Barbis | 13 |
Die in Klammern gesetzte Zahlenwerte sind unsicher.
Aus der obigen Tabelle kann man erkennen, daß das Metallwerk Odertal GmbH der bedeutendste Arbeitgeber für Ausländer im Stadtgebiet war. Seit Beginn des Masseneinsatzes von ausländischen Arbeitskräften in der Rüstungsindustrie (1942) waren neben deutschen Arbeitnehmern, 1934 Arbeitskräfte einschließlich 36 Kinder aus 14 Nationen dort gemeldet.
Die Zahlen der Meldedatei für Ausländer der damaligen Stadtverwaltung Bad Lauterberg und die Zahlen der Arbeitsverwaltung und der Ortskrankenkasse des Kreises Osterode
26, aus der die obige Tabelle 2 erstellt wurde, sind nicht kongruent und ergeben daher Abweichungen.
Das Gros der ausländischen Beschäftigten im Metallwerk Odertal war weiblichen Geschlechts 65,1% und in der Massenproduktion von Munition für Handfeuer- und Maschinenwaffen eingesetzt. Unter der Leitung von deutschen Vorarbeiterinnen produzierten sie Gewehr- und Pistolenmunition im Zweischichtbetrieb
27 von je 12 Stunden. Eine deutsche Vorarbeiterin hatte zwischen 10 und 13 Fertigungshalbautomaten mit ausländischen Arbeitskräften zu kontrollieren, die Maschinen bei Bedarf zu justieren und die ausländischen Arbeitskräfte zu überwachen.
Der hohe Anteil an jungen sowjetischen Frauen 82,9% brachte natürlich eine breite Palette an sozialen und geschlechtsspezifischen Problemen mit sich, die im Kapitel "Lebensbedingungen" angesprochen werden.
Fußnoten
23 Spoerer, Zwangsarbeit. P. 96.
24 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, Tabelle 3, P. 42.
25 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, Tabelle 4, P. 43 - 46. SA Bad Lauterberg, Verstorbene Zwangsarbeiter in Bad Lauterberg, P. II-2 ff., KptLt. a.D. Helmut Lüder
26 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, P. 43.
27 SA Bad Lauterberg, Brief der Mathilda Danco, Juli 2004 zur Bestätigung ihrer Zwangsarbeit.
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