- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 5
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Rekrutierung
Generell gab es drei Wege, auf denen die Arbeitgeber der Stadt zu ausländischen Arbeitern kommen konnten
28:
- es bestand (abgesehen von der Endphase des Krieges) die Möglichkeit, ausländische Arbeitskräfte direkt aus den Heimatländern zu bekommen,
- es konnten bereits im Arbeitseinsatz in Deutschland stehende Ausländer in die jeweilige Firma umgesetzt werden,
- es wurden Kriegsgefangene und Militärinternierte, die bis dahin der Wehrmacht unterstanden, aus Lagern und Arbeitskommandos im Reichsgebiet in den Status von Zivilarbeitern bei zahlreichen Arbeitgebern überführt.
Die deutsche Arbeitsverwaltung war an allen drei Rekrutierungsformen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt. Die umfassende Organisation des Arbeitseinsatzes aller Kategorien von Arbeitskräften lag beim Reichsarbeitsministerium. Während des Krieges wurde 1942 die Unterstellung geändert und das neugeschaffene Amt des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA), mit dem thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel an der Spitze, war zuständig für den Arbeitseinsatz aller Arbeitskräfte im deutschen Machtbereich.
Rekrutierung im Herkunftsland
Die Anwerbung, Verpflichtung und Verteilung von Arbeitskräften oblag grundsätzlich den deutschen Arbeitsämtern. Die Arbeitsämter hatten bereits vor 1939 Außenstellen an den Grenzen, um Saisonarbeiter vermitteln zu können. Die Beamten dieser Außenstellen rückten sofort nach Besetzung durch die deutsche Wehrmacht in Polen ein, um ihre Tätigkeiten zu forcieren. Diese neugeschaffenen Arbeitsämter im Generalgouvernement und in den anderen annektierten Gebieten waren jeweils mit bestimmten Landesarbeitsämtern im Reich (Patenschaften) verknüpft
29. Die Struktur und die Zuständigkeit der Arbeitsämter ist mit den im Stadtarchiv vorliegenden Dokumenten nicht zu klären. Insgesamt sind in 83 Meldekarten Angaben und Informationen von Arbeitsämtern eingetragen. Die Arbeitsämter Northeim und Lüneburg sind als zuweisende oder versetzende Ämter auf den 83 Meldekarten festgehalten. Ein System von Patenschaften der inländischen und ausländischen Arbeitsverwaltungen bei der Rekrutierung kann bei den wenigen Informationen nicht erkannt werden. In Verbindung mit der Zuweisung sowjetischer Arbeitskräfte nach Bad Lauterberg durch das Arbeitsamt Northeim waren die Städte Kiew, Charkow und Sumy mit ihren Einzugsbereichen eindeutiger Schwerpunkt der Rekrutierung. Ansonsten lassen die vorhandenen Quellen keine geographische Schwerpunkte der Rekrutierung erkennen.
In die Zuständigkeit der deutschen Arbeitsämter bzw. Landesarbeitsämter fiel nicht nur das Kontakthalten zu den neuen Arbeitsämtern im Osten, sondern bis Ende 1943 auch die aktive Teilnahme an der Rekrutierung von Arbeitskräften durch Entsendung von Werbern und Transportbegleitpersonal
30. Ostarbeiter und Polen wurden nach ihrer Verpflichtung in ihrer Heimat und den dazugehörigen Gesundheitsuntersuchungen mit Sammeltransporten der Bahn in Durchgangslager in das Reichsgebiet verbracht. Für den Kreis Osterode war dieses Durchgangslager bis Mitte 1942 in Reppner bei Salzgitter, danach in Lehrte
31. Von dort aus erfolgte die Weiterverteilung erneut in geschlossenen Transporten zu den Bahnhöfen der Zielgemeinden und Firmen, in denen der Arbeitseinsatz vorgesehen war.
Aus der Meldekartei ist in vielen Fällen ersichtlich, daß die Auswahl und Zuweisung von ausländischen Arbeitskräften zu einem Industriebetrieb durch die Arbeitsverwaltung willkürlich erfolgte. Es ist zu erkennen, daß zu einem Anmeldedatum bei der Stadtverwaltung, ganze Gruppen von Arbeitskräften, aus einem Geburtsort kommend, angemeldet wurden und einer Firma zugewiesen wurden. Die Auswahl der Arbeitskräfte erfolgte demnach nicht nach Qualifikationen und zukünftigem Arbeitseinsatz in den Betrieben, sondern nach einem Auswahlverfahren mit den Kriterien, Ort, Alter und Geschlecht. Nur so ist es zu erklären, daß z.B. ausländische Arbeitskräfte aus den Städten und Regionen:
Tabelle 3
Ort | Anzahl | Geschlecht | Datum | Firma |
Andrejewka | 12 | Frauen | 17.05.1942 | Metallwerk Odertal |
Charkow | 13 | Frauen | 09.04.1942 | Miag-Mühlenbau |
Sumy | 19 | Männer | 08.05.1942 | Metallwerk Odertal und Miag-Mühlenbau |
Pologi | 24 | Frauen | 30.05.1942 | Metallwerk Odertal |
Saporoschje | 16 | Frauen | 30.05.1942 | Metallwerk Odertal |
Kortschiwka | 15 | Frauen | 16.11.1942 | Metallwerk Odertal |
Paris | 21 | Männer | 22.02.1943 | Metallwerk Odertal |
kamen und den hiesigen Rüstungsfirmen als geschlechtlich, homogener, ethischer Block zugeteilt wurden. Tabelle 3 ist nur ein Auszug und könnte noch weiter fortgesetzt werden. Festzustellen ist, daß die den Firmen zugewiesenen Personengruppen in den Jahren 1943 und 1944 kleiner wurden, aber dafür mehrmals Zuweisungen im Jahr erfolgten.
Die für diese Arbeit ausgewerteten Quellen sagen nichts darüber aus, ob der jeweilige Ausländer zwangsinterniert wurde, oder sich freiwillig gemeldet hat. Für die Meldebehörde in Bad Lauterberg war die Tatsache einer Dienstverpflichtung unerheblich und wurde somit auch nicht festgehalten.
Wanderungen/ Versetzungen innerhalb Deutschlands
Bei der Recherche zu diesem Beitrag wurde festgestellt, daß zwischen den einzelnen Lagern und den arbeitgebenden Firmen eine nicht unerhebliche personelle Fluktuation stattfand. Neben der Rekrutierung im Ausland kamen viele Arbeitgeber auch innerhalb Deutschlands zu ausländischen Arbeitskräften, indem sie Arbeitskräfte von anderen Firmen oder Niederlassungen übernahmen. Ab 1942 dienten die Lager der großen Firmen Metallwerk Odertal/ Hauxkopf und Otto Schickert und Co. KG. in Bad Lauterberg als Pool, aus dem immer wieder Arbeitskräfte aller Nationalitäten verschoben und anderen, oft kleineren Firmen und Kleinstunternehmen zur Verfügung gestellt wurden.
Insgesamt wurden 558 ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen aus Bad Lauterberger Betrieben oder Arbeitsverhältnissen weitervermittelt, bzw. in ihre Heimatländer entlassen, oder kamen aus dem Urlaub nicht wieder zurück. Die folgende Graphik zeigt die Anzahl der personellen Bewegungen auf die Nation bezogen.
Über die Gründe des amtlich angeordneten Arbeitsplatzwechsels ist so gut wie nichts bekannt. Anhand der dokumentierten Verschiebungen des Personals ist allerdings erkennbar, daß landwirtschaftliche Kampagnen (z.B. Zuckerrübenernte und Verarbeitung) oder andere bestimmte Sondereinsätze wie z.B. die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Brennholz ausschlaggebend waren. In die Zahlen der o.a. Graphiken sind die geflohenen ausländischen Arbeitskräfte mit einbezogen. Insgesamt verließen 105 Zivilarbeiter
32 ihren Arbeitsplatz in Bad Lauterberg. Sie kamen aus dem Urlaub nicht zurück, sie flohen oder sie wurden wegen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit in die Heimat zurückgeschickt. Ein französischer Zivilarbeiter wurde z.B. von der franz. Marine (Marine National) einberufen und sein Arbeitsverhältnis durch die französische Einberufungsbehörde in Deutschland reklamiert, seine Freistellung bei den Schickertwerken in Bad Lauterberg erwirkt und daraufhin nach Frankreich zurückgeschickt. Von den 71 belgischen Arbeitskräften verließen 18 (25,4%) ihre Arbeitsstelle ohne Vertragsauflösung. Bei den französischen Arbeitern war der Trend noch höher. Von 110 Franzosen verließen 43 (39,1%) unerlaubt ihre vertragliche Arbeitsstelle. Von 162 Ostarbeitern, welche eine Ortsveränderung vollzogen, taten dieses 43 (26,5%) ohne behördliche Genehmigung. Die Effizienz der Arbeitsleistung kann bei dieser Art von Arbeitskräftebeschaffung gem. den o.a. Zahlen nicht sehr hoch gewesen sein. Diese Zahlen sind aber ein Maßstab für die Wertschätzung des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland.
Entlassung von Kriegsgefangenen in den Zivilarbeiterstatus
Überstellungen von Kriegsgefangenen in den Status eines Zivilarbeiters sind in Bad Lauterberg aus den im Stadtarchiv vorhandenen Quellen nicht zu erkennen, außer bei den italienischen Militärinternierten. Diese wurden am 11. November 1944 als Militärinternierte zum großen Teil entlassen und als Zivilarbeiter im Lager Odertal/Reichsstraße oder Lager Metallwerk Odertal/Hauxkopf neu angemeldet. Insgesamt konnten 220 POWs aus den Meldebüchern, Meldekarteien und aus standesamtlichen, kirchlichen und privaten Dokumenten ermittelt werden.
Ansonsten sind aufgrund fehlender Dokumente genaue Zahlen über ausländische Arbeitskräfte, die vor ihrem Einsatz als ausländischer Zivilarbeiter, Kriegsgefangene (POWs) waren, nicht zu erbringen. Die vorhandenen Quellen im Stadtarchiv geben darüber keine Auskunft.
Fußnoten
28 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, P. 63.
29 Herbert, Fremdarbeiter, P. 67
30 Beil, Albert Sammlung von Verwaltungsvorschriften für Landesarbeitsämter und Arbeitsämter 1942 - 1944, 5. Nachtrag 2060/33.
31 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, P. 69.
32 18 Belgier, 43 Franzosen, 1 Pole und 43 Russen.
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