- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 6
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Lebensbedingungen
Unterbringung
In Bad Lauterberg wurde 1949 auf Anforderung der Kreisverwaltung eine Aufstellung der in Bad Lauterberg gewesenen Ausländerlager und Unterkünfte erstellt. Federführend war der Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes (International Tracing Service = ITS) in Bad Arolsen, der einen Teil der so erlangten Informationen in einem Sammelwerk33 über Lager und Gefängnisse im deutschen Machtbereich während des Zweiten Weltkrieges zusammenfaßte. Dieses Sammelwerk beinhaltet seltsamerweise nur ein Lager in Bad Lauterberg. Für den gesamten Altkreis Osterode sind nur 4 Arbeitslager34 erfaßt. Die von der Stadtverwaltung Bad Lauterberg 1949 zusammengestellte und versandte Liste beinhaltete 6 Arbeitslager35 für ausländische Zivilarbeiter. Die Recherche zu dieser Ausarbeitung ergab die Zahl von 22 Lagern in der Kernstadt und den heutigen Ortsteilen Barbis, Bartolfelde und Osterhagen
36. Außer der ITS-Quelle wurden vor allem Standesamtsunterlagen, die bei Geburten oder Sterbefällen oft den Aufenthaltsort enthielten sowie die Meldekartei und die Meldebücher ausgewertet.
Die ausländischen Arbeitnehmer und die Kriegsgefangenen waren in mehreren Lagern, die über das ganze Stadtgebiet verstreut waren, arbeitsnah untergebracht.
Folgende Lager sind bekannt:
Tabelle 4
Lagerbezeichnung | Ortsbezeichnung | Firma/Arbeitsplatz |
Lager Metallwerk/Hauxkopf | Odertal/St. Andreasbergerstr. | Fa. Metallwerk Odertal, Reichsforst, Fa F. Kuhlmann (zeitweilig) |
Lager Haltenhoff | Odertal/Betriebsgelände | Fa. A. Haltenhoff |
Lager Odertal/Reichsstraße | Odertal/Gasthaus Kreihe | Fa. Metallwerk Odertal und zivilinternierte Italiener und POWs |
Lager Schickert-Werke/Fa. Hoch Tief AG. | Odertal/Deta- Straße | Fa. Otto Schickert & Co KG, Hoch Tief AG. und andere |
Lager Schützenplatz | Seb. Kneipp Promenade/ Revita | Fa. Franz Kuhlmann |
Lager Baryt Werk I | Zollweg/Faßfabrik | Fa. Deutsche Baryt-Industrie |
Lager Baryt Werk II | ölmühle/Lutterstraße | und andere Betriebe, franz. |
Lager Baryt Werk III | Scharzfeld/Bahnhof | POWs, später auch Ostarbeiter |
Lager Kupferhütte (Wohnwagen) | Lutterstraße | Fa. Faserholz Göttingen |
Lager Lutterstraße | Lutterstraße 2/Betriebsgelände | Fa. Max Böhme KG, Fa. Schmetz |
Lager Adler Pinselfabrik | Lutterstraße 26/Betriebsgelände | Fa. Adler Pinselfabrik |
Lager Sportplatz M.-Kdo. 1872 | Lutterstraße | Reichsforst, verschiedene Betriebe, russ. /frz. POWs |
Lager Koldung | Am Kalten Born/Betriebsgelände | Fa. Königshütte-Hans Ohle KG und Fa. Westfälische Maschinenbau Gesellschaft |
Lager M.-Kdo. 1117 | unbekannt | POWs |
Lager Miag I | Scharzfelderstr./ Betriebsgelände | Fa. Miag-Mühlenbau |
Lager Miag II | Heikenberg/ Hotel Eichenkopf | Fa. Miag-Mühlenbau, ital. Arbeiter |
Lager Jugendherberge | Drahthüttenweg 8 | Fa. Mook & Koop u.a. Betriebe |
Lager Wistoba | Barbis/Barbiser Straße | Fa. Wistoba Pinselfabrik W. Stollberg |
Lager Domäne Scharzfels | Barbis/Barbiser Straße | Staatsgut L. Knobloch u.a. Betriebe |
Lager Oderfeld M.- Kdo. 6241 | Barbis/Oderfelderstraße | Lager für ital. POWs |
Lager Dreymanns Mühle | Barbis/Barbiser Straße 72 | Handwerksbetriebe, Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe, ital. und serb. POWs |
private Unterbringung | Bad Lauterberg, Barbis, Bartolfelde und Osterhagen | Handwerksbetriebe, Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe |
Weiterhin wurde festgestellt, daß einige Arbeitslager wechselnde Bezeichnungen hatten. So wurde z.B. das Gemeinschaftslager Hoch Tief AG. später als Gemeinschaftslager Otto Schickert & Co. KG. bezeichnet und nach Kriegsende, als es als Flüchtlingslager genutzt wurde, hieß es Survey Camp Odertal; oder das Lager Odertal hieß später Lager Reichsstraße. Weitere Widersprüchlichkeiten bestehen bei der zeitlichen Zuweisung von Arbeitern und dem Bau der Barackenlager im Odertal. Es gibt eine Luftbildaufnahme der deutschen Luftwaffe vom 4.6.1942 vom Bad Lauterberger Ortsteil Odertal
37. Zu diesem Zeitpunkt haben das Lager Metallwerk Odertal/Hauxkopf und das Lager Odertal/Reichsstraße noch nicht bestanden. Die ersten russischen Arbeiter wurden aber bereits im Mai 1942 dem Metallwerk Odertal GmbH zugewiesen und auch bei der Meldebehörde registriert. Italienische Arbeiter wurden bereits 1940 im Lager Odertal gemäß den Meldekarten untergebracht, obwohl das Lager Odertal/Reichsstraße im Juni 1942 noch nicht existent war. Wo waren sie wirklich untergebracht?
Als Unterkünfte wurden auch Hotels, Gaststätten und Sanatorien in Bad Lauterberg genutzt, z.B.:
Tabelle 5
Unterkunft | Personen |
Hotel Kurhaus Kleemann | 16 |
Hotel Schützenhaus | 25 |
Hotel Ratskeller | 1 |
Hotel Eichenkopf | 2 |
Hotel Zur Schweiz | 1 |
Hotel Hubertusklause | 1 |
Hotel Wiesenbeker Teich | 2 |
Hotel Langrehr | 5 |
Hotel Deutscher Kaiser | 4 |
Gaststätte Goldene Aue | 1 |
Gaststätte zur Linde | 1 |
Sanatorium Feldmann Gräfe | 2 |
Sanatorium St. Benno Stift | 6 |
Grundsätzlich waren ausländische Arbeitnehmer in Sammelunterkünften oder beim Arbeitgeber unterzubringen. Diese Art der Unterbringung in Hotels/Gaststätten war vor allem in Gemeinden, die über keine Sammelunterkünfte oder Gemeinschaftslager verfügten, die Regel. Da dieses aber für Bad Lauterberg nicht zutraf, Sammelunterkünfte waren vorhanden, war es ein Abweichen von der grundsätzlichen Weisung. Dieses Privileg wurde in beschränktem Umfang für Volksdeutsche, französische, belgische, niederländische, italienische und tschechische Facharbeiter und Ingenieure geduldet, allerdings sind in Bad Lauterberg auch einige sowjetische und polnische Arbeitskräfte in Hotels untergebracht gewesen.
Die Summe der Lager und Quartiere würde sich erheblich vergrößern, wenn die Einquartierung einzelner ausländischer Arbeitnehmer bei ihren bäuerlichen oder handwerklichen Arbeitgebern bzw. in Privathaushalten oder -wohnungen auch noch berücksichtigt würde.
Die Situation der Lager und Quartiere wurde 1942 problematisch, als Hunderte von ausländischen Arbeitskräften bei den Rüstungsfirmen eingesetzt werden sollten. Die bereits vorhandenen Unterkünfte wurden erweitert und neue Barackenlager im Odertal erbaut. Im Odertal entstanden im Sommer 1942 das Lager Odertal/Reichsstraße und das Lager Metallwerk Odertal/Hauxkopf
38. Die Baracken konnten von den Betrieben nicht ohne weiteres auf dem freien Markt bestellt werden, vielmehr mußte das Material bei zentralen Instanzen geordert werden. Aufgrund der kriegsbedingten Mangelsituation zog sich die Zuteilung meist in die Länge, so daß die Lager vor Eintreffen der Masse an Ostarbeitern nur notdürftig oder gar nicht bezugsfähig waren. Dieser Zustand bedingte eine unerträgliche überbelegung der bereits bestehenden Lager. überaus beengte Wohnverhältnisse, nicht ausreichende sanitäre Anlagen und Mangelernährung waren dann auch die Keimzelle von ansteckenden Krankheiten. Vor allem auf sanitärem Gebiet müssen die hygienischen Verhältnisse katastrophal gewesen sein.
Für die Erstellung, Erhaltung, Ausrüstung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Lager waren die Leiter der Betriebe verantwortlich, die größere Zahlen von ausländischen Arbeitern beschäftigten. Je nach Lagergröße war ein Verwaltungsstab von mehreren Personen dafür zuständig. Die Verwaltung oblag einem Lagerleiter
39 mit umfangreichen Vollmachten. So war die Lagerleitung des Rüstungsbetriebes der Fa. Otto Schickert & Co. KG., nach den wenigen vorliegenden Dokumenten, vermutlich eigenverantwortlich gegenüber der Firma und den Behörden und führte auch eigenständigen Schriftverkehr mit eigenem Briefkopf
40, z.B. mit der Ortspolizeibehörde Bad Lauterberg über besondere Vorkommnisse. Weil der Verwaltungsaufwand für den Erhalt eines selbständigen ausländischen Arbeitslagers recht hoch war, ließen kleinere Firmen ihre ausländischen Arbeitskräfte manchmal in den Lagern größerer Firmen unterbringen, die dann die anfallenden Bewachungs- und Versorgungsaufgaben gegen Bezahlung übernahmen. Die Zahlungen betrugen 1,60 RM pro Kopf und Tag, pro Entlausung kam noch einmal 1,00 RM dazu. Diese Pauschale deckte die Unterbringung, Bewachung, Lagerführung, Dolmetscher, Krankenbetreuung, warme Verpflegung (morgens und abends) und sanitäre Einrichtung
41 ab. So waren z.B. im Lager Metallwerk-Odertal/ Hauxkopf mehrere ausländische Arbeitskräfte des Forstamtes Bad Lauterberg und der Fa. Franz Kuhlmann untergebracht.
Familienangehörige, Mütter und Kinder waren in unterschiedlichen Lagern, Privathäusern und Wohnungen des Ortes und der umliegenden Ortschaften untergebracht. Die Auswertung der Meldekartei aus dieser Zeit ergab, daß 83 ausländische Kinder von 1939 bis 1946 im Ort gemeldet, bzw. zeitweilig gemeldet waren.
Das Gemeinschaftslager Otto Schickert & Co. KG. hatte gemäß eines Lageplanes der Barackenanlage u.a. auch zwei Baracken, die als "Familienbaracken" bezeichnet wurden. Inwieweit in diesen Familienbaracken ausländische Familien mit Kindern untergebracht waren ist nicht mehr nachvollziehbar. In behördlichen An- und Ummeldeanträgen von estländischen Arbeiterinnen und Arbeitern des Metallwerks Odertal ist als neue Unterkunft Bad Lauterberg, Baracke "Kindergarten" angegeben. Diese An- und Ummeldungen wurden aber erst nach der Besetzung durch amerikanische Truppen am 15. April 1945 registriert. Wo diese Baracke "Kindergarten" im Ort gelegen hat, ist nicht mehr bekannt. Ebensowenig nachvollziehbar ist, ob in diesem Kindergarten auch, oder ausschließlich Ausländerkinder betreut wurden. Eine Befragung der wenigen noch lebenden Zeitzeugen erbrachte keine verwertbaren Erkenntnisse. Die estländischen Arbeiterinnen und Arbeiter waren alle vorher im Lager Metallwerk Odertal/ Hauxkopf untergebracht. Aufgrund der Rassenlehre es NS-Regimes ist es allerdings unwahrscheinlich, das die "fremdländischen Kinder" mit den einheimischen Kindern in einer Einrichtung zusammen betreut wurden. Hier eine übersicht der Unterkünfte, in denen Kinder gemeldet waren:
Tabelle 6
Ort | Anzahl Kinder |
Bad Lauterberg/Bahnhof | 6 |
Bad Lauterberg (ohne weitere Angaben) | 11 |
Bad Lauterberg, Gläsnertal | 1 |
Bad Lauterberg, Königshütte 4 | 1 |
Bad Lauterberg, Kupferhütte (Forstamt) | 1 |
Bad Lauterberg, Lutterstraße 13 | 1 |
Bad Lauterberg, Scharzfelderstraße | 2 |
Bad Lauterberg, Straße der SA | 2 |
Barbis, Lager Domäne Scharzfels | 1 |
Barbis 51 | 1 |
Bartolfelde | 1 |
Bad Lauterberg, Krankenbaracke (vom Lager Hattorf, gestorben) | 1 |
Bad Lauterberg, Krankenbaracke (vom Lager Osterode, gestorben) | 1 |
Lager Adler Pinselfabrik | 6 |
Lager Metallwerk Odertal/Hauxkopf | 39 |
Lager Koldung | 2 |
Lager Odertal/Reichsstraße | 3 |
Lager Otto Schickert und Co. KG. | 1 |
Lager Haltenhoff | 2 |
Summe | 83 |
Für das nationalsozialistische Deutschland brachte das Auftreten von Ausländerkindern ein unerwünschtes Problem mit sich, welches immer größere Dimensionen annahm und aufgrund der Rassenideolgie einer dringenden Regelung bedurfte.
Fußnoten
37 SA Bad Lauterberg, Verstorbene Zwangsarbeiter in Bad Lauterberg, KptLt. a.D. Helmut Lüder, Anhang: Bilder und Lagepläne der Bad Lauterberger Arbeitslager.
38 siehe Anlagen (Dokumente + Lagepläne).
39 Der Lagerleiter des Gemeinschaftslager Otto Schickert & Co. KG. war Herr Göricke, Lagerleiter des Lagers Metallwerk Odertal GmbH war Herr Gattermann, Lagerleiter des Lagers Haltenhoff war der Werkmeister Hersener.
40 siehe Kapitel Anlagen.
41 HSA Hannover, Hann. 310 I O Nr. 170.
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