- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 7
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Lebensumstände, Versorgung
Der Alltag der ausländischen Arbeitskräfte in Bad Lauterberg war geprägt von gesetzlichen, oft im Vergleich zur deutschen Bevölkerung diskriminierenden staatlichen Regelungen. Abhängig von der Art des Arbeitseinsatzes und dem Verhalten des Arbeitgebers, vom Geschlecht und der Nationalität, vor allem aber von der Tatsache, daß die ausländischen Arbeitskräfte während des gesamten Zeitraums in einer kriegsbedingten Mangelsituation zu leben hatten.
Zwei Organisationen
42 waren zuständig für die Belange, die über den betrieblichen Arbeitseinsatz und die der Sicherheit hinausgingen. Der "Reichsnährstand" (eine Zwangsvereinigung aller an Produktion und Absatz von Lebensmitteln beteiligten Firmen und Personen) der für die ausländischen Arbeitskräfte, welche in der Landwirtschaft eingesetzt waren, zuständig war, sowie die "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) als Organisation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, welche für die ausländischen Arbeitnehmer in den übrigen Wirtschaftsbereichen zuständig war.
Deutlich sichtbares Zeichen für Arbeiter aus Polen und der Sowjetunion waren Abzeichen, die sie stets zu tragen hatten. Die Polen trugen ein dreieckiges, gelbes Stoffabzeichen mit einem violetten "P", die Ostarbeiter ein quadratisches, blaues Stoffabzeichen mit der weißen Aufschrift "OST"oder "O"
43. Die Kennzeichnungspflicht galt für alle polnischen und russischen Personen, die älter als 10 Jahre waren. Alle deutschen Regierungsstellen und die Gestapo hatten die Einhaltung dieser Vorschrift zu überwachen. Die Lieferung der Stoffabzeichen erfolgte durch die Fahnenfabrik Geitel & Co. in Berlin
44. Die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen waren versicherungsrechtlich den deutschen Beschäftigten gleichgestellt, d.h. sie waren vertraglich mit dem jeweiligen Arbeitgeber verbunden und eingebunden in das deutsche Sozialversicherungssystem. Eine Ausnahme bildeten die Ostarbeiter, bei denen die Existenz eines "normalen" Arbeitsverhältnisses verneint wurde mit der Folge, daß sie lediglich Krankenversichert waren.
Allen ausländischen Zivilarbeitern stand für ihre Arbeit Lohn in Form von Geld und manchmal auch in Naturalien, wie z.B. Verpflegung, zu. Allerdings erhielten nur Westarbeiter und Personen aus mit Deutschland verbündeten und neutralen Staaten eine Entlohnung, die in etwa mit der von deutschen Arbeitnehmern vergleichbar war. Polen und Ostarbeiter wurden grundsätzlich in die niedrigste Lohngruppe eingereiht und kamen nicht in den Genuß von Zuschlägen. Sie unterlagen außerdem einer besonderen Abgabe. Die Polen hatten eine "Sozialausgleichsabgabe", die Ostarbeiter eine "Ostarbeiterabgabe" zu entrichten. Außerdem wurden die polnischen Arbeitskräfte in die ungünstigste Steuerklasse eingereiht. Die dann noch auszuzahlenden Beträge tendierten gegen Null. Nach Abzug der vom
Arbeitgeber, bzw. Lagereigners einzubehaltenden Verpflegungskosten verblieben Ostarbeitern ca. 10,00 RM in der Woche, ein Betrag, der aber wohl nur in in Ausnahmefällen erreicht wurde
45. Dieses bescheidene Taschengeld konnten sie legal nicht ausgeben, da es ihnen nicht erlaubt war, Geschäfte oder andere öffentliche Einrichtungen zu betreten. Das Geld diente hauptsächlich dazu, Dinge auf dem "Schwarzen Markt" zu kaufen, der vielfach von "Westarbeitern" betrieben wurde
46. Zur Steigerung der Arbeitsmoral der Ostarbeiter wurden im Verlauf des Krieges zwar Lohnsteigerungen eingeführt, diese erreichten aber nie das Niveau eines Westarbeiters oder gar eines deutschen Arbeitnehmers
47. Zahlreiche Dinge des täglichen Lebens waren auch für Deutsche limitiert oder nur auf Bezugsschein erhältlich. Für Ausländer und besonders für Ostarbeiter wurden diese Limits weiter reduziert. Für einen Ostarbeiter waren an Nahrungsmitteln pro Woche vorgesehen
48:
Tabelle 7
Gewicht | Nahrungsmittel |
2,25 kg | Brot |
200 g | Fleisch bzw. Fleischwaren |
130 g | Fett |
31,25 g | Magerkäse oder die doppelte Menge Quark |
225 g | Zucker |
175 g | Marmelade |
150 g | Nährmittel (Nudeln, Graupen, Reis etc.) |
1,125 kg | frisches Gemüse (meistens Weißkohl) |
8,5 kg | Kartoffeln oder 3 kg Kartoffeln und 16,5 kg Kohlrüben |
28 g | deutscher Tee |
105 g | Salz |
275 g | Sauerkraut |
nichtbewirtschaftete Gewürze nach Vorratslage |
Sonderzulage für Schwerarbeiter: 600 g Brot und 150 g Fleisch |
Sonderzulage für männliche Ostarbeiter: Tabak49 |
Polen, Westarbeitern und anderen Ausländern standen im Allgemeinen die gleichen Grundnahrungsmittel zu wie der deutschen Bevölkerung. Dieses führte in einigen Fällen zu Protesten bei der deutschen Bevölkerung. Eier, Milch, Sahne und Süßigkeiten waren für Ausländer nicht vorgesehen, eine Ausnahme bestand nur für Kinder (auch sowjetische Kinder). Sie sollten bis zum Alter von drei Jahren 0,5 l Vollmilch pro Tag bekommen, im Alter zwischen drei und vierzehn Jahren die gleiche Ration an entrahmter Milch. Ansonsten bestanden die Kinderzuteilungen aus jeweils 1,5 kg Brot pro Woche, bei den anderen Lebensmitteln erhielten sie die Hälfte der Zuteilung wie für einen Erwachsenen. Bei Ostarbeitern sollte das Fleisch möglichst aus Pferde- oder Freibankfleisch bestehen. Eine Regelung, nach der Fuchsfleisch aus Fuchsfarmen zu liefern sei, wurde nicht auf sowjetische Zivilarbeiter ausgedehnt und blieb nur auf russische Kriegsgefangene beschränkt. Eine Minderung der Verpflegungsrationen für nichtarbeitende Ostarbeiterinnen in den Lagern war durchzuführen
50. Zwischen August und Dezember 1944 galt für die Zivilarbeiter aus der Sowjetunion das Prinzip der sogenannten Leistungsernährung. Ostarbeiter, die über 100% der Arbeitsleistung eines deutschen Arbeitnehmers erbrachten, erhielten erhöhte Fleisch-, Fett-, und Käsezuteilungen. Für 90 - 100% war die normale Ration, bei weniger als 90% waren Abzüge vorgesehen
51. Inwieweit diese Verordnungen in Bad Lauterberg umgesetzt wurden, ist nicht nachzuvollziehen, da hierüber keine ausreichenden Quellen vorhanden sind. Es sind weder Quittungen noch andere Nachweise über Lebensmittellieferungen an die jeweiligen Lagerküchen oder Lagerbäckereien vorhanden.
Unterschlagungen von Lebensmitteln hat es naturgemäß auch gegeben, aber bis auf einen Fall wurden sie nicht dokumentiert. Ein Erlebnisbericht
52 aus dem Jahr 1942 von dem Obermeister der Bäckerinnung im Landkreis Osterode, dem Bäckermeister Eduard Herbst aus Bad Lauterberg, ist noch existent. In diesem Bericht ist von einer Lebensmittelunterschlagung in Höhe von 10 t Brot bei der Fa. Otto Schickert & Co. KG. die Rede. Diese Menge wurde der Gemeinschaftsverpflegung der ausländischen Arbeitnehmer entnommen und diente der gesonderten Verpflegung der deutschen Betriebsangehörigen der Fa. Schickert. Bäckermeister Herbst meldete als zuständiger der Bäckerinnung diesen Verstoß dem Getreidewirtschaftsverband und der DAF. Im Mai 1942 wurde Herbst aufgrund dieser Meldung wegen Unruhestiftung in Bevölkerung und Gefolgschaft der Schickert Werke, sowie der Verleumdung eines Parteigenossen aus der NSDAP ausgeschlossen
53. Diese Unterschlagung hatte aber doch noch ein gerichtliches Nachspiel. Im August 1942 klagte der Getreidewirtschaftsverband gegen die Firma Otto Schickert & Co. KG. Bei dem, durch das Gericht angeordneten Lokaltermin in der Bäckerei des Gemeinschaftslagers der Fa. Otto Schickert, kam es zu nachfolgender Szene
54:
Der Backofen war angeheizt. Von der Firma Otto Schickert & Co. KG. war kein Vertreter erschienen. Die Herren der Geschäftsführung, der Partei und der Lagerführer Göricke weilten auf einer Trauerfeier, die mit Fahnen und Standarten in Bad Lauterberg stattfand. Vor Ort waren vertreten: drei Herren vom Gericht, der Handwerkskammerpräsident Schmidt aus Hildesheim, der Vertreter des Gauleiters mit zwei Parteigenossen und Bäckermeister Herbst. Auf die Frage des Handwerkskammerpräsidenten an den Bäcker, was er gebacken habe, da der Backofen angeheizt sei, erklärte dieser, daß er verseuchte und verlauste Kleidungsstücke des Russenlagers im Backofen verbrenne. Die vom Gericht eingesetzte Kommission mußte die Feststellung machen, daß in einem "nationalsozialistischen Musterbetrieb" zwischen einer Bäckerei und einem Krematorium für Ungeziefer kein Unterschied gemacht wurde.
Die Besichtigung der Lagerräume für Lebensmittel ergab auch ein vernichtendes Urteil. Die Kommission gab zu Protokoll, daß die Räume sich zu allem Möglichen eignen, nur nicht zur Aufbewahrung von Lebensmitteln.
Ein Strafverfahren wurde aufgrund der hohen Stellung und der Parteizugehörigkeit von Herrn Otto Schickert, er war Blutordensträger der NSDAP und Wehrwirtschaftsführer, nicht eingeleitet. Insgesamt scheinen von den Verpflegungsmängeln vor allem die Ostarbeiter und Polen betroffen gewesen zu sein, die Behandlung der westeuropäischen Arbeitskräfte war offensichtlich besser.
Mangel kennzeichnete nicht nur die Lebensmittelversorgung der polnischen Arbeitskräfte und der Ostarbeiter, sondern auch die Ausstattung mit Schutzbekleidung bei der Arbeit und mit anderen Dingen des täglichen Lebens. Bekleidung, Hygieneartikel und Schuhwerk (Holzschuhe) waren Mangelware. Im Fall von Schwangerschaften hatten Ausländerinnen generell die Möglichkeit, ein Umstandskleid zu erhalten
55. Für Polinnen und Ostarbeiterinnen galt dieses nicht, für sie war höchstens Stoff zur Abänderung vorhandener Kleidung vorgesehen.
Ein besonderes Problem war die Gewährung von Freizeit und Urlaub für Ausländer. Freie Zeit am Arbeitsort in Deutschland und erst recht der Urlaub in den Heimatländern bedeutete, daß die Ausländer der Kontrolle durch Arbeitgeber und Behörde entzogen waren. Das feingesponnene Netz von Sonderregelungen, Anordnungen und Gesetzen war dann durchbrochen.
Auf den betrieblichen Abmeldungen der ausländischen Arbeitnehmer an die Stadtverwaltung ist teilweise ein Vermerk eingetragen worden, der auf eine Flucht während des Urlaubs hindeutet. Danach kehrten 5 Belgier, 29 Franzosen und 2 Polen aus dem Urlaub nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurück.
Freizeit in Deutschland bedeutete für die ausländischen Arbeitskräfte arbeitsfreie Zeit, jedoch nicht ohne Kontrolle. Sie war an streng geregelte Zeiten
56 und, wie die Regelung in vielen anderen Bereichen auch, an die Nationalität des Arbeiters gebunden. Für Polen galt z.B. ein Ausgangsverbot von 21 Uhr - 5 Uhr (April - September) bzw. 20 Uhr - 6 Uhr (Oktober - März). Für Ostarbeiter hatte 1943 die DAF auch Urlaub im zweiten Arbeitsjahr in Deutschland vorgesehen. Es sollten eine Woche Urlaub in einem noch zu errichtenden Urlaubslager in Deutschland und ab dem dritten Arbeitsjahr jeweils zwei Wochen Heimaturlaub gewährt werden
57. Die militärische Lage hat aber 1944/45 die Urlaubsgewährung im Heimatland, selbst wenn die Bereitschaft der deutschen Behörden und der Arbeitgeber dagewesen wäre, ad absurdum geführt, denn zu dieser Zeit hatte sich die Wehrmacht bereits aus großen Gebieten der Sowjetunion zurückgezogen.
Die Betriebe waren teilweise bestrebt, Freizeit für Ausländer in organisierter Form zu gewähren. In einem Merkblatt von 1943 wurde dazu aufgerufen, Sprachkurse, Filme und Bücher anzubieten sowie Ausgang und die religiöse Betreuung durch Laienseelsorger (für Ostarbeiter) zu gestatten. Als Gegenwert wurde Engagement bei der Arbeit und Wohlwollen gegenüber dem deutschen Nationalsozialismus erwartet. Unterlagen oder Programme über Freizeitaktivitäten sind in Bad Lauterberg nicht bekannt. Zeitzeugen können sich an gesonderte Veranstaltungen im Bad Lauterberger Kino ausschließlich für Polen und Ostarbeiter erinnern, da die ausländischen Arbeitskräfte in geschlossenen Kolonnen von den Lagern im Odertal kommend, durch die obere Stadt marschieren mußten.
Westarbeiter unterlagen vergleichsweise nur geringen Beschränkungen im Gegensatz zu Polen und Ostarbeitern. Die Verordnungslage schloß bei letzteren z.B. nicht nur den Einkauf in Geschäften aus, sondern auch den Besuch von Friseuren und Gaststätten
58. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern und Telefonen war ebenfalls nicht erlaubt
59. Eine schwerwiegende Verletzung der Anordnungen war, den Arbeitsort (Bad Lauterberg) zu verlassen. Seelsorgerische Betreung fand in Bad Lauterberg vermutlich nicht statt. Unterlagen oder Zeitdokumente darüber sind im Stadtarchiv nicht existent. Die Durchführung von Sondergottesdiensten
60 für Polen, wie sie ab 1943 gestattet waren, sind in Bad Lauterberg nicht nachzuweisen (sie sollten einmal im Monat stattfinden); der Gebrauch der polnischen Sprache war selbst bei der Beichte untersagt. Die Amtshandlungen deutscher Pfarrer beschränkten sich bei Polen auf Trauungen, Taufen und Beerdigungen.
Fußnoten
42 Spoerer, Zwangsarbeit, P.95 -96.
43 ebd.
44 SA Gotha, Landratsamt Nordhausen Nr. 158.
45 siehe Kapitel Anlagen.
46 Billstein+Illner, You are now in Cologne, Compliments, P. 161 ff.
47 Spörer, Zwangsarbeiter, P. 150 - 163.
48 edb. P. 130.
49 LA Oranienburg, Kreisbehörde Blankenburg Nr. 4925.
50 SA Wolfenbüttel. 12 Neu-Inn-Pol 13 Nr. 16242.
51 Spörer, Zwangsarbeiter, P. 129.
52 PA Helmut Lüder, Erlebnisbericht des Bäckermeisters Eduard Herbst .
53 PA Helmut Lüder, Ausschluß des Parteimitglieds Eduardt Herbst aus der NSDAP mit Schreiben der Kreisleitung Osterode.
54 PA Helmut Lüder, Erlebnisbericht des Bäckermeisters Eduard Herbst, P. 3 + 4.
55 SA Wolfenbüttel, 129 Neu FB.2 Nr. 4455.
56 SA Wolfenbüttel, 12 Neu 13 Nr. 15744.
57 HSA Hannover, Hann. 310 IO Nr. 170.
58 SA Wolfenbüttel, 12 Neu - Inn - Pol 13 Nr. 15744
59 KA Osterode, Karton Nr. 041, Sign. X01.450.01-4540.
60 SA Wolfenbüttel, 12 Neu 13 Nr. 15744.
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