- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 8
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Gesundheitszustand der Ausländer
Über den Gesundheitszustand und die Gründe der Erkrankungen der in Bad Lauterberg eingesetzten Ausländer lassen sich nur marginale Aussagen machen. Die Quellen, die darüber Auskunft geben könnten, wie Arbeitsunfähigkeitsmeldungen der AOK oder Krankenhausakten und Journale des Städtischen Krankenhauses Bad Lauterberg, stehen dem Stadtarchiv nicht, bzw. nicht mehr zur Verfügung. Bei schweren Erkrankungen mit Todesfolge wurde die Todesursache vielfach in den Standesamtsbüchern vermerkt. Diese Quelle konnte in vollem Umfang in Bad Lauterberg genutzt werden und ermöglichte die nachfolgende Auswertung.
Krankenfürsorge
Unter den Bedingungen des Krieges hatten die Gesundheitsbehörden erhebliche Schwierigkeiten, eine auch nur annähernd angemessene Gesundheitsfürsorge der in großer Zahl eingesetzten Ausländer aufzubauen und zu praktizieren. Hinzu kam, daß die Rassenlehre des Dritten Reiches in ihrer Ideologie von vornherein Einschränkungen für Ostarbeiter und Polen vorsah. Diese wirkten sich naturgemäß auch auf medizinischem Gebiet aus. Die örtlichen Gesundheitsbehörden waren gehalten, gemeinsame Behandlung von deutscher Bevölkerung, Ostarbeitern und Polen möglichst einzuschränken
61 mit der Folge, daß Krankenhäuser und Heilstätten ab 1942 von Personen aus Osteuropa kaum genutzt werden konnten.
Ab Sommer 1942 gab es Pläne, für aus Polen und der Sowjetunion stammende Arbeiterinnen und Arbeiter eine Krankenversorgung außerhalb der regulären Krankenhäuser zu organisieren. Das neu zu schaffende Krankenversorgungssystem basierte auf zwei Säulen. Erstens behielten, bzw. bekamen die größeren Lager eigene Krankenreviere, zweitens wurden zum Teil in Anlehnung an die, für die deutsche Bevölkerung bestehenden Krankenhäuser, sogenannte Krankenbaracken für die Therapie von Ausländern eingerichtet. In Bad Lauterberg stand die Krankenbaracke am Kupferoser Weg unterhalb des Städtischen Krankenhauses. In dieser Krankenbaracke wurden auch Ausländer aus den Lagern der Orte Herzberg, Osterode, Hattorf und St. Andreasberg behandelt. Das Lager Metallwerk Odertal/Hauxkopf und das Gemein-schaftslager Otto Schickert und Co. KG. sowie das Lager Metallwerk Silberhütte in St. Andreasberg/Silberhütte hatten eigene Krankenreviere. Insgesamt konnte die geringe Betten-zahl der Krankenbaracke und der Krankenreviere den notwendigen Bedarf nicht decken, so daß Ausländer auch entgegen Vorschriften und Weisungen von Gesundheitsbehörden doch in den Krankenhäusern behandelt wurden. Daneben kam auch eine Verlegung oder Überweisung in benachbarte Anstalten in Frage. Die Gesundheitsorganisation war mit den Massen der ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter völlig überfordert.
Hinsichtlich des Personals war die Krankenversorgung von Polen und Ostarbeitern vor allem auf deutsche Ärzte, Hebammen und medizinisches Hilfspersonal angewiesen. Die Krankenbaracke am Kupferoser Weg in Bad Lauterberg verfügte ab Februar 1943 über einen russischen Feldscher
62. Das Metallwerk Odertal hatte ab Oktober 1944 einen italienischen Arzt, die Deutsche Baryt Industrie und die Schickert Werke hatten ab September 1943 je eine sowjetische Sanitäterin, die Miag ab Oktober 1944 eine estländische Sanitäterin.
Todesfälle und Todesursachen
In Bad Lauterberg waren insgesamt 153 Todesfälle zu beklagen. Fast 50% der Sterbefälle war auf Tuberkulose und deren unzureichende Behandlung in den Krankenrevieren bzw. in der Krankenbaracke zurückzuführen. Auch bei den Kindern
63 war eine hohe Sterblichkeit festzustellen.
Tabelle 8
Todesursache | Personen |
Arbeitsunfall | 1 Fall |
Bombenangriff | 2 Fälle |
Darmgeschwür | 1 Fall |
Erschlagen | 1 Fall |
Fluchtversuch/Erschossen | 1 Fall |
Gehirnabszeß | 1 Fall |
Grippe/Lungenentzündung | 1 Fall |
Grippe/Herzschwäche | 1 Fall |
Herzdegeneration | 1 Fall |
Herzinfarkt | 1 Fall |
Herzschwäche | 3 Fälle |
Knochentuberkulose | 1 Fall |
Lungenentzündung | 3 Fälle |
Lungentuberkulose | 76 Fälle |
Lungentuberkulose/ Herzschwäche | 1 Fall |
Lungentuberkulose/ Knochentuberkulose | 1 Fall |
Meningitis | 1 Fall |
Magengeschwür | 1 Fall |
Morbus Banti | 1 Fall |
Nackenkarbunkel | 1 Fall |
Paralyse | 1 Fall |
Schädelbruch | 2 Fälle |
Scharlach | 2 Fälle |
Suizid | 1 Fall |
Tumor | 1 Fall |
Todesursache nicht vermerkt | 23 Fälle |
Unfall | 1 Fall |
Unglücksfall | 2 Fälle |
Die Kinder starben an: |
Frühgeburt | 1 Fall |
Gastroentritis | 1 Fall |
Intoxikation/ Vergiftung | 1 Fall |
Lungentuberkulose | 2 Fälle |
Lungenentzündung | 8 Fälle |
Meningitis | 2 Fälle |
Todesursache nicht Vermerkt | 6 Fälle |
Totgeburt | 2 Fälle |
Todesfälle aufgrund von Gewalteinwirkung waren auch zu verzeichnen. Der sowjetische Kriegsgefangene Wassyl Hontscherenko, geb. 12.1.1918 in Troskaja/Rostowsk, wurde am 9.9.1941 in der Lutterstraße durch einen Wachposten bei einem vermeintlichen Fluchtversuch erschossen.
Nach Aussagen von Zeitzeugen aus dem Bad Lauterberger Ortsteil Odertal
64 wurden im April 1945 während der Kampfhandlungen fünf russische Ostarbeiter von einer Nachhut deutscher Fallschirmjäger beim Plündern in den Wohnhäusern der Werkssiedlung der Harzwasserwerke unterhalb des Oderstaudammes überrascht und sofort vor Ort, ohne kriegsgerichtliche Verhandlung, erschossen. Die Toten wurden auf dem Grundstück in der Nähe des Hauses zusammengelegt und mit einem Schild mit der Aufschrift "Plünderer" versehen. Die deutschen Bewohner der Werkshäuser flüchteten daraufhin aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der befreiten Ostarbeiter nach Bad Lauterberg. Zwei der fünf Toten wurden vor Ort von Unbekannten begraben, die sterblichen Überreste wurden in den 70ziger Jahren bei Ausschachtungsarbeiten wieder entdeckt; wo die drei anderen Toten verblieben sind, ist unbekannt.
Im Sumpfgebiet zwischen Schmiedekinds Mühle und Dreymanns Mühle im Ortsteil Bartolfelde/Barbis wurden die Ostarbeiter
65 N.N. Brewurs, geb. 1923 in Kertsch, und N.N. Polenko, geb.1922 in Leningrad, von Unbekannten erschlagen und verscharrt. Nach Aussage eines bereits verstorbenen Zeitzeugen
66 sollen sie aus Bad Lauterberg/Odertal gekommen sein.
Der polnische Arbeiter Stanislaus Sobeczack, geb. am 28.4.1914 in Lieratz oder Sierads, und seine deutsche Ehefrau wurden am 9.11.1945 in Bad Lauterberg/OT Bartolfelde
67 ermordet.
Auch unter den verschiedenen Nationalitäten der nach Kriegsende "Displaced Persons
68" genannten Menschen ist es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit tödlichem Ausgang gekommen. Nach Ende der Kampfhandlungen im April 1945 wurden bis in das Jahr 1946 hinein dreizehn teilweise unbekannte, tote Kriegsgefangene und Ostarbeiter in den Wäldern der Umgebung aufgefunden. Die Todesursachen wurden meistens nicht geklärt.
Fußnoten
61 Grund war die Sorge, daß die ohnehin geringe Zahl von Krankenhausbetten nicht zur Behandlung aller Patienten ausreichen könnte und deshalb eine Beieinträchtigung der Gesundheitsversorgung der deutschen Bevölkerung zu erwarten wäre (SA Wolfenbüttel, 129 Neu FB. 2 Nr. 4455).
62 HSA Hannover, Hann 122a XII Nr 3150.
63 siehe Kapitel Familien, Geburten und Eheschließungen.
64 Interview mit den Zeitzeugen O. Wiegand am 03.02.2003 und H. Bode am 25.03.2003.
65 Standesamt Bad Lauterberg/ Bartolfelde
66 Kirchenarchiv Bartolfelde, "Erlebnisbericht 1945".
67 ebd.
68 Displaced Persons war die alliierte Bezeichnung von Kriegsdeportierten.
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