- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Arbeiten für Großdeutschland - Teil 10
Stadtarchiv Bad Lauterberg
KptLt a.D. Helmut Lüder
Kontakte zwischen deutscher Bevölkerung und Ausländern
Das Auftreten der vielen Ausländer in Bad Lauterberg und die Beschäftigung bei den diversen Arbeitgebern in der Stadt legt auf den ersten Blick den Schluß nahe, daß eine Fülle von Kontakten zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Ausländern bestand. Die Frage ist nur: wieweit reichten diese Kontakte? Beschränkten sie sich nur auf das bloße Sehen und die rein dienstlichen Angelegenheiten im Betrieb oder gab es auch weitergehende, wirtschaftliche wie auch private Beziehungen. Administrative und dienstliche Kontakte zwischen Ausländern und Deutschen waren auf jeden Fall vorhanden. Sie erstreckten sich auf deutscher Seite auf Gestapo, Polizei, Gesundheitsbehörden, ärzte, Arbeitsämter, Parteiorganisationen (DAF und Reichsnährstand), Reichsbahn, Reichsforst sowie Stadt- und Gemeindebehörden, nur um die wichtigsten zu nennen. Hinzu kamen natürlich noch die betrieblichen Kontakte, wie: Arbeitgeber und Betriebsleitung, Meister, Vorarbeiter, Arbeitskollegen sowie das Wach- und Lagerpersonal. Diese mehr oder weniger geschäftsmäßigen Beziehungen sollen hier aber nicht weiter betrachtet werden. Die Frage nach den wirtschaftlichen und privaten Beziehungen ist da schon interessanter. Wie reagierte die deutsche Bevölkerung auf die "Fremdländischen" um im nationalsozialistischen Jargon zu bleiben?
Entsprechende Archivalien sind im Stadtarchiv nicht vorhanden. Eine breit angelegte Zeitzeugenbefragung im Rahmen der mündlichen Geschichtsschreibung wäre wohl das einzige Mittel, die damaligen Verhältnisse und Geschehnisse aufzuarbeiten. Diese Zeitzeugenbefragung wurde nach mehrmaligen Ansätzen aufgrund der Problematik des Themas abgebrochen. Der angesprochene Personenkreis beschränkte sich nicht darauf, in den Gesprächen den damaligen Sachverhalt zu schildern, sondern er war sofort bestrebt seine eigenen meist negativen Erfahrungen mit den Alliierten als Kriegsgefangener, Flüchtling, Vertriebener oder Bombenopfer in das Gespräch einzubringen. Es gab dabei eine verblüffende ähnlichkeit der Aussagen über die jeweiligen persönlichen Verhaltensweisen. So sagten fast alle, daß sie den Ausländern gegenüber durchaus freundlich gegenüberstanden und ihnen vielfach auch geholfen haben. Es wußten auch viele, allerdings immer nur über dritte Personen, von der schlechten Behandlung der ausländischen Arbeitnehmer in den etrieben und den Lagern in Bad Lauterberg. Das eigene private und betriebliche Umfeld soll jedoch immer korrekt mit den Ausländern umgegangen sein. Die in den Quellen und Anmerkungen namentlich genannten Zeitzeugen sprachen frei und unvoreingenommen über diese Zeit, ihnen sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich gedankt. Es kristallisierte sich letztendlich heraus, daß die einheimische Bevölkerung offensichtlich und auch entgegen den Vorstellungen der nationalsozialistischen Führung, die ausländischen Arbeitskräfte gleichgültig bis kollegial, manchmal wohl auch freundlich behandelt hat. Das änderte sich mitunter schnell, wenn Deutsche und Ausländer in Konkurrenz zueinander traten bzw. die deutsche Bevölkerung auch nur vermeintlich geringfügige Nachteile erlitt. So führte es zum Unmut in der ansässigen Bevölkerung, daß Ostarbeiter und Kroatinnen aus Lagern in und um Osterode in Gemüse- und Kolonialwarenläden einkauften, was zu Verboten solcher Einkaufsgänge und zur Beschlagnahme der gekauften Dinge führte
78. Ungewöhnlich ist bei diesem Vorfall auch, daß Kroatinnen, die ja immerhin aus einer mit Deutschland verbündeten Nation kamen, mit den Ostarbeiterinnen gleichbehandelt wurden. In Bad Lauterberg gab es Vorfälle, daß Ostarbeiter, die in ihrer sicher nicht sehr reichlichen Freizeit in den umliegenden Dörfern auf den Feldern zusätzlich arbeiteten und dafür von den Landwirten mit Lebensmitteln entlohnt wurden, ihnen diese Lebensmittel rigoros durch die Lagerleitung und das Wachpersonal abgenommen wurden.
Besonderes Augenmerk richteten die Nationalsozialisten auf sexuelle Kontakte bzw. Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Ausländern, wobei die Repressionen in solchen Fällen gemäß den rassischen Vorstellungen sehr unterschiedlich sein konnten. Sie konnten von einer schlichten Mißbilligung, wenn Franzosen, Belgier, Niederländer oder Tschechen daran beteiligt waren, bis zu drakonischen Strafen für beide Teile des Paares reichen, wenn Polen oder Ostarbeiter daran Anteil hatten
79. So drohte Ostarbeitern die Todesstrafe, Ostarbeiterinnen die Einweisung in ein Konzentrationslager, wenn sie sexueller Kontakte mit deutschen Partnern überführt wurden. Auch die deutschen Partner hatten mit einschneidenden polizeilichen Maßnahmen zu rechnen
80.
Aus diesen wenigen bruchstückhaften Quellen kann man eigentlich nur schließen, daß die einheimische Bevölkerung angesichts der politischen Verhältnisse engere Beziehungen zu Ausländern nach Möglichkeit verdeckt hielt, um Verfolgungen und Nachstellungen seitens der Behörden zu entgehen. Sicher ist auch, daß partnerschaftliche Kontakte zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Ausländern existierten und daß generell die Menschen pragmatisch auf die neuen ausländischen Arbeiter reagierten und nicht, wie es die NSDAP verlangte, konsequent ideologisch ausgerichtet. Es muß aber unterschieden werden zwischen den in Lagern untergebrachten ausländischen Arbeitern und den ausländischen Landarbeitern, Handwerkern und Hausgehilfen, bei denen manchmal das Verhältnis zu ihren Arbeitgebern freundschaftlich und nicht diskriminierend war, so daß sich noch jahrelange Briefkontakte in der Zeit nach dem Krieg erhalten haben
81.
überwachung und Repression
Die in Deutschland eingesetzten Ausländer wurden während ihres gesamten Aufenthaltes von staatlichen oder halbstaatlichen Behörden und Institutionen begleitet und überwacht. Da der Arbeitseinsatz in den überwiegenden Fällen nicht freiwillig erfolgte, war es der deutschen Regierung und Verwaltung klar, daß die ausländischen Zivilarbeiter wegen der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen oder einfach auch aus Heimweh heraus, in großer Zahl versuchen würden Deutschland zu verlassen. Der Einsatz der ausländischen Arbeiter und vor allem deren Arbeitsleistung war von großer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Daher unternahmen Polizei und Behörden große Anstrengungen, um durch Abschreckung und mit empfindlichen Strafen solche Arbeitskraftverluste zu vermeiden. In allen Fällen der eigenmächtigen Abwesenheit von ausländischen Arbeitskräften war generell die Gestapo zu informieren.
Ein weiterer Grund der rigorosen Bespitzelung und überwachung war in der Furcht begründet, daß die Zivilarbeiter aus den sogenannten "Feindstaaten" Aufstände anzetteln, Sabotage im großen Stil durchführen oder generell die deutsche Bevölkerung bedrängen könnten. Man versuchte daher, allerdings nicht immer mit Erfolg, einen tiefen Graben zwischen der Bevölkerung und den ausländischen Arbeitskräften zu ziehen. Besonders empfindlich reagierten staatliche Stellen wenn eine Vermischung von Deutschen und Ausländern zu befürchten stand, wie etwa bei Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Ausländern, vor allem dann, wenn die Partner Polen oder Ostarbeiter waren.
Die Gestapo nutzte die örtlichen Parteiorganisationen, Polizei- und Gendarmerieposten um das Netz der überwachung sehr dicht zu knüpfen. In Bad Lauterberg sind mehrere Festnahmen von Ausländern aktenkundig
82:
Tabelle 10
Name/ Vorname | geb. Dat. | geb. Ort | Nat. | Verhaftung | Firma |
Andreani, Antonio | 13.06.1896 | S. Fedele | I | 03.01.1943 | Schickert |
Lazarato, Constante | 05.03.1891 | S. Guiseppe | I | 03.01.1943 | Schickert |
Ingenti, Lino | 24.11.1912 | Villafranca | I | 03.01.1943 | Schickert |
Rossi, Cesare | 18.06.1900 | Crezona | I | 03.01.1943 | Schickert |
Belloni, Andrea | 22.03.1903 | Mornio al Serio | I | 03.01.1943 | Schickert |
Deselli, Antonio | 09.09.1916 | Cemona | I | 03.01.1943 | Schickert |
Roselli, Ercole | 03.07.1899 | Parma | I | 03.01.1943 | Schickert |
Nolli, Ciovan | 03.02.1901 | Cene- Bergamo | I | 03.01.1943 | Schickert |
Amosow, Wladimir | 15.06.1926 | Wenewa | SU | unbekannt | Schickert |
Breus, Alexander | 02.12.1925 | Feodosija | SU | 12.02.1944 | Baryt-Ind. |
Serebrjanskij, Wladimir | 19.12.1920 | Sumy | SU | 14.07.1943 | Miag |
Kowenja, Wladimir | 08.12.1924 | Uteljanka | SU | 22.08.1944 | Miag |
Torjanik, Wladimir | 10.05.1924 | Slawjansk | SU | 21.09.1944 | Miag |
Horenko, Sergej | 13.09.1900 | Mitinzi | SU | 08.10.1943 | Metall-werk |
Torjanik, Wladimir wurde am 16.1.1945 wieder aus der Haft entlassen und bei der Fa. Miag-Mühlenbau in Bad Lauterberg erneut eingestellt. Horenko, Sergej wurde von der Gestapo in ein Erziehungslager verbracht und ist dort gemäß den Angaben auf der Meldekarte verstorben, Ort und Zeit sind unbekannt. Was aus den anderen ausländischen Arbeitskräften wurde, ist nicht bekannt.
Die alltägliche Behandlung der Ausländer durch Lagerpersonal, Betriebsleiter und Gestapo war durch Verordnungen geregelt, die eigentlich Exzesse wie Schikanen, Beleidigungen und Prügel ausschließen sollten. Bei Arbeitsverweigerungen war ausschließlich die Gestapo zuständig. Den Betriebsführungen wurden andere Mittel zugestanden, um schlechte Arbeitsleistungen mit Sanktionen zu belegen, z.B. die zeitweilige Streichung der warmen Mahlzeit
83. Die Lager-verwalter und ihr Personal hielten sich nicht immer an diese Vorgaben.
In Bad Lauterberg ist durch Zeitzeugen bestätigt
84 worden, daß die Lagerverwalter und ihr Personal in den großen Arbeitslagern im Odertal Unterschlagungen, Schikanen, Beleidigungen und Prügel als sogenannte Erziehungsmaßnahmen angewandt haben. Es muß davon ausgegangen werden, daß es sich dabei nicht um Ausnahmen, sondern um häufig vorkommende Praktiken gehandelt hat.
Fußnoten
78 HSA Hannover, Hann. 310 IO Nr. 170.
79 KreisA Osterode, Karton Nr. 041, Sign. X01.450.01-4540.
80 Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 - 1945, C.H. Gattermann, P. 110 (Fußnote).
81 PA Helmut Lüder, Briefe des französischen Kriegsgefangenen Raymond Morard aus Molaine (Aisne) an Bäckermeister Eduard Herbst Bad Lauterberg.
82 siehe Anlagen (Dokumente + Lagepläne). SA Bad Lauterberg, Meldekartei für Ausländer 1939 - 1946.
83 KreisA Osterode, Karton Nr. 041, Sign. X01.450.01-4540.
84 SA Bad Lauterberg, Brief der Mathilda Danco, Juli 2004 zur Bestätigung ihrer Zwangsarbeit. PA Helmut Lüder, Erlebnisbericht von Bäckermeister Eduard Herbst, P. 1 - 3.
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