- Forschungs- und Erinnerungsarbeit zu Zwangsarbeiterschicksalen und NS-Geschichte im Harzgebiet -
Geschichtsfälschung in Nordhausen?
Nordhausen nach der Bombardierung im April 1945 (Stadtarchiv Nordhausen)
So wie die Luftangriffe auf Nordhausen im April 1945 zu DDR-Zeiten den USA zur Last gelegt wurden, so wird heute noch auf NordhausenWiki behauptet, der Einsatzbefehl für die Royal Air Force sei von Sir Arthur Harris, Kommandeur des Bomber Command, "eigenmächtig" unter Missachtung des alliierten Oberkommandos SHAEF erteilt worden. Doch die historische Wahrheit sieht anders aus.
Bis zum Sturz der SED-Diktatur 1989 stand die Propagandalüge in Stein gemeißelt in der Gedenk-Stele am Alten Rathaus. Anfangs wurden "US-Luftgangster" offiziell angeprangert, später lautete die Sprachregung "anglo-amerikanische Bomber". Der erste Versuch, die Tatsachen aufzudecken, scheiterte – eine schon gedruckte Broschüre Dr. Manfred Schröters, später erster OB Nordhausens nach der Wende, wurde wieder eingestampft. Sie erschien dann 1988 in zensierter Form.
Tatsächlich war seit Jahrzehnten bekannt, dass die tausendjährige, ehemalige Freie Reichsstadt in zwei Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 von britischen Bombern zu 74 % zerstört wurde. Der Journalist Manfred Neuber, gebürtiger Nordhäuser, hatte in seinen Berufsjahren in London und New York bei der RAF und der US Air Force recherchiert und darüber im Bundesgebiet publiziert.
Der Historiker Jens Schley, von der Stadt Nordhausen mit einer wissenschaftlichen Studie über den April 1945 in der Roland-Stadt beauftragt, sieht einen "wieder erstarkenden Geschichtsrevisionismus", der "die Opfer der Deutschen im Zweiten Weltkrieg stärker herausstellt" und "die Verantwortung für diesen Krieg relativiert". Konkret: In der Zahl von geschätzten 8.800 Toten des Infernos von Nordhausen sind Tausende KZ-Häftlinge enthalten, die vorher im SS-Todeslager in den Boelcke-Kasernen starben.
Es grenzt an Geschichtsfälschung, wenn auf NordhausenWiki und in anderen Veröffentlichungen behauptet wird: "Sir Arthur Harris wollte sich in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Trümmern schaffen." Oder: "Harris perfektionierte das Handwerk der Tötung deutscher Menschen."
Ja, auch in England gibt es Auschwitz-Leugner. Der "Kronzeuge" gegen Harris vergleicht in seinem Buch über die V2 die Luftangriffe auf Nordhausen mit dem Massenmord von Gardelegen, wo die SS KZ-Häftlinge in einer brennenden Scheune ermordete. Mit der Gleichsetzung Nordhausens mit Dresden und Hiroshima frönt man makaberem Lokalpatriotismus. Unrichtig ist auch die Behauptung, die Wirkung aller auf Nordhausen abgeworfenen Bomben sei bei keinem Einzelangriff auf Deutschland größer gewesen. Nach zwei Angriffen waren in Nordhausen 8.800 Tote, aber beispielsweise in Pforzheim nach nur einem Angriff 17.600 Opfer zu beklagen.
Die private Plattform NordhausenWiki leistet den geschichtsrevisionistischen Bestrebungen, die voller Widersprüche stecken, Vorschub. So wird der militärische Zweck des Angriffs bestritten, obwohl er ausdrücklich im Befehl steht. So soll die RAF nicht gewusst haben, dass KZ-Häftlinge in den Boelcke-Kasernen lagen, obwohl man von Agenten angeblich erfuhr, was es für Festessen in der Kantine gab und welche Weihnachtslieder gesungen wurden.
Zwei Legenden der Nachkriegszeit, wonach Nordhausen die Aufforderung zur Kapitulation abgelehnt habe und die Bomber vom eigentlichen Ziel Gotha nach Norden umgeleitet worden seien, entbehren jeder Grundlage. Dr. Herbert Meyer, OB bei Kriegsende, versicherte um 1964 in Bad Lauterberg, ein solches Ansinnen der Alliierten sei nie gestellt worden. Und Nachforschungen in der thüringischen Nachbarstadt ergaben, dass die angeblich neue Ortung militärisch unsinnig gewesen wäre.
Hartnäckig wird auf NordhausenWiki bestritten, dass die Luftangriffe zur Unterstützung der vorrückenden US-Panzer geschahen, obwohl im selben Absatz steht: "Angriff bei frühest möglicher Gelegenheit zur Unterstützung der Bodentruppen" (Befehl des Alliierten Oberkommandos SHEAF vom 2. April). Die Westmächte erwarteten heftigen Widerstand aus einer "Festung Harz", die es dann aber nicht gab – es handelte sich dabei nur um prahlerische NS-Propaganda. Um unnötige Verluste ihrer Bodentruppen zu vermeiden, ließen die Amerikaner vorsorglich das Vorfeld bombardieren – das ist der wahre Grund der Bombardierung von Nordhausen.
In einem Schreiben von Dr. Alastair Noble (Leiter der Historical Branch der RAF) heißt es: "The operations were mounted against military targets of the advancing American armies… With barracks being the main targets, high explosive bombs were used. This was not unusual.”
Ein Besserwisser fantasiert hingegen auf NordhausenWiki, RAF-Befehlshaber Sir Arthur Harris habe noch kurz vor dem Start für Nordhausen normale gegen "besonders heimtückische Bomben" auswechseln lassen. "Wie aus anderem Zusammenhang hervorgeht, wollte Harris diese schweren Bomben NICHT gegen Kasernen in Nordhausen einsetzen", so Dr. Noble.
Nordhausen wird weder in der Autobiografie des Luftmarschalls Harris ("Bomber Offensive") noch in den Büchern späterer Biografen erwähnt. Im offiziellen Report "The RAF in the Bombing Offensive" (Band VI, S. 237) steht allerdings: "Sir Arthur Harris war skeptisch, ob die Kasernen der Luftnachrichtenschule der Wehrmacht (Boelcke-Kasernen) belegt waren, und er erklärte, er halte Kasernen nicht für geeignete Ziele. Sie würden in Kürze für die Besatzungstruppen benötigt werden."
So tragisch das Kriegsende in Nordhausen auch verlief – NordhausenWiki leistet den geschichtsrevisionistischen Bestrebungen bewusst Vorschub. In den dortigen Schilderungen der Luftangriffe wimmelt es von Widersprüchen. Die von der Stadt Nordhausen in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie über den April 1945 von Jens Schley wird hoffentlich in Kürze die historischen Fakten korrekt darstellen.
Dr. Friedhart Knolle
|
nordhausen ||
richtigstellung ||
bombardierung ||
april 1945 ||
geschichtsfälschung ||

|| 2245 Mal gelesen, zuletzt am 06.02.2025 um 20:01:46 |